– von Andreas Rinke und Alexander Ratz
Berlin (Reuters) – In seiner ersten Regierungserklärung hat Kanzler Friedrich Merz einen mehrfachen Politikwechsel angekündigt.
“Ein solcher Politikwechsel setzt ein Umdenken und neue Prioritäten an vielen Stellen voraus”, sagte der CDU-Chef am Mittwoch im Bundestag. Deutschland sei in der Lage, aus eigener Kraft aus der Wirtschaftskrise zu kommen. “Was wir brauchen, ist nicht mehr und nicht weniger als eine gemeinsame Kraftanstrengung. Ich habe große Zuversicht, dass uns das in den nächsten Jahren gemeinsam gelingen kann”, sagte Merz in seiner fast einstündigen Rede. Er kündigte Tempo der in der vergangenen Woche gestarteten schwarz-roten Koalition an. Er wolle, dass die Bürger schon im Sommer spürten, dass sich etwas zum Guten verändere. AfD-Co-Chefin Alice Weidel, die die größte Oppositionspartei führt, reagierte mit scharfer Kritik.
Ziel der – mit dem Koalitionspartner SPD abgestimmten -Regierungserklärung des Kanzlers war, eine Übersicht über die künftige Regierungsarbeit und deren Ziele zu geben. Merz kündigte an, dass es darum gehen werde, den Zusammenhalt der Gesellschaft zu sichern und die Zusage “Wohlstand für alle” zu erneuern und Deutschland gegen Angriffe etwa durch Russland abzusichern. Deutschlands Gestaltungskraft in der Welt stehe und falle dabei mit der wirtschaftlichen Stärke. Das wirtschaftliche Fundament Deutschlands sei ungebrochen. “Wir können aus eigener Kraft heraus wieder zu einer Wachstumslokomotive werden, auf die die Welt mit Bewunderung blickt. Wir werden deshalb Wettbewerbsfähigkeit zum Maßstab unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik machen”, betonte der Kanzler. CDU/CSU-Fraktionschef Jens Spahn hatte am Dienstag gesagt, dass er ein Wachstum von 0,2 bis 0,3 Prozent allein durch den Regierungswechsel erwarte.
Merz nannte unter anderem die schnelle Senkung der Stromkosten, die Reform des Bürgergelds, steuerliche Entlastungen für Firmen und die Einführung eines freiwilligen Wehrdienstes als Projekte für die kommenden Monate. Der Kanzler verwies darauf, dass die Koalition durch das Sondervermögen Infrastruktur nun eine Investitionssumme von bis zu 150 Milliarden Euro in dieser Legislaturperiode zur Verfügung habe. Allerdings müsse der größere Teil der nötigen Investitionen mit privatem Geld finanziert werden. Zudem sei Geld nicht alles, Reformen seien nötig. Merz pochte auf den nötigen Bürokratieabbau, erwähnte das neue Digitalministerium und bekannte sich dazu, dass die Regierung ins Visier nehmen müsse, für bezahlbares Wohnen zu sorgen. “Dazu gehört vor allem: Bauen, Bauen, Bauen.”
Sowohl Merz als auch CDU/CSU-Fraktionschef Jens Spahn verteidigten die beschlossene härtere Grenz- und Zurückweisungspolitik. Kommunen und Länder seien vielfach überfordert, sagte der Kanzler, der betonte, dass man Integration anbiete, aber auch einfordere. Zugleich betonte er, dass Deutschland ein Einwanderungsland war, sei und bleibe. Die Bürger hätten ein Anrecht, in Sicherheit leben zu wollen. Spahn warb für einen “weltoffenen Patriotismus”.
Zuvor hatte Vizekanzler und Finanzminister Lars Klingbeil in einer Regierungsbefragung im Bundestag seine Pläne für die nächsten Monate umrissen. “Wir wollen jetzt Wachstum generieren”, sagte der SPD-Co-Chef. Es gehe darum, Arbeitsplätze zu sichern. “Wir werden massiv investieren.” Bürger und Unternehmen sollten zugleich entlastet werden. Außerdem werde es zusätzliche Gelder für die Verteidigung geben.
Die Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge warf Merz dagegen vor, dass er in seiner Regierungserklärung die nötigen Reformen der Sozialversicherungssysteme weitgehend ausgespart habe. Sie kritisierte, dass sich der Kanzler zwar zu den Klimaschutzzielen bekenne und sage, dass das Umsteuern vor allem mit einer Erhöhung des CO2-Preises erreicht werden solle. Merz sage aber nie, an welche Höhe er denke.
An mindestens zwei Stellen nahm der CDU-Chef in seiner Rede Rücksicht auf den Koalitionspartner SPD: Er erwähnte die Abschaffung des Lieferkettensorgfalt-Gesetzes nicht – nachdem die SPD zuvor kritisiert hatte, dass er entgegen der Vereinbarung des Koalitionsvertrages auch ein Aus für die entsprechende EU-Richtlinie gefordert hatte. Außerdem sagte Merz: “Zugleich halten wir einen Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 angesichts der Tarifentwicklung für erreichbar und wünschbar.” Der CDU-Chef fügte hinzu, dass der Mindestlohn aber nicht gesetzlich festgeschrieben werde.
Sowohl SPD-Fraktionschef Matthias Miersch als auch Spahn sagten Merz zu, dass die Regierungsfraktionen ein “Stabilitätsanker” für die neue Koalition sein würden. Miersch erwähnte aber auch, dass politischer Streit nicht per se schlecht sei – er müsse “zielgerichtet” sein.
Weidel nannte Merz einen “Kanzler der Linken”. Merz habe Wahlversprechen gebrochen und vor Linken und Grünen kapituliert, sagte sie als Oppositionsführerin. Zugleich kritisierte Weidel den Verfassungsschutz scharf: Die Einstufung der AfD als gesichert rechtsextremistisch sei rein politisch motiviert. Der Linken-Co-Fraktionschef Sören Pellmann sprach von einem gescheiterten und ambitionslosen Koalitionsvertrag der schwarz-roten-Koalition. Sie warf der SPD vor, selbst das Rentenniveau in der Vergangenheit auf 48 Prozent abgesenkt zu haben.
(Mitarbeit: Christian Krämer, redigiert von Sabine Ehrhardt; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)