Berlin (Reuters) – ProSiebenSat.1-Aufsichtsratschef Andreas Wiele hat zum Abschied den italienischen Großaktionär MFE kritisiert und vor zu großer Macht der Berlusconi-Holding gewarnt.
“Der Aufsichtsrat ist das adäquate Gremium, in dem mit dem Vorstand über die richtige Strategie und neue Ideen für unser Unternehmen diskutiert und entschieden werden sollte – nicht die Öffentlichkeit”, sagte Wiele am Mittwoch bei seiner letzten Hauptversammlung für den in Unterföhring bei München ansässigen TV-Konzern in direktem Appell an MFE-MediaForEurope. Zudem monierte Wiele, dass die Italiener mit gut 30 Prozent das Unternehmen faktisch kontrollierten. “Denn wer die Mehrheit in der Hauptversammlung hat, kann sich die Mehrheit im Aufsichtsrat sichern.” Und wer die Mehrheit im Kontrollgremium habe, bestimme, wer im Vorstand das Unternehmen leite, sagte der ehemalige Axel-Springer-Manager, der nach rund drei Jahren als Aufsichtsratschef nicht wieder antritt.
Wiele hatte bereits im Januar seinen Abgang angekündigt und damit begründet, dass MFE und der zweitgrößte Aktionär, die tschechische PPF-Gruppe, keinen unabhängigen Aufsichtsratschef wollten. “Ich bedauere, dass es mir nicht dauerhaft gelungen ist, den Aktionärskreis zu befrieden”, sagte Wiele nun auf dem virtuellen Aktionärstreff. Seine Nachfolgerin soll nun die Medienmanagerin Maria Kyriacou werden, die Führungspositionen etwa bei Paramount Global<PARA.O>, ITV Studios und Walt Disney hatte.
Die von der Familie des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi dominierte MFE-MediaForEurope und PPF buhlen um mehr Einfluss bei der bayerischen Senderkette aus ProSieben, Sat.1, Kabel 1 und mehreren Spartensendern wie etwa Sixx. Das MFE-Angebot hatten Vorstand und Aufsichtsrat von ProSiebenSat.1 jüngst wie erwartet als “aus finanzieller Sicht nicht angemessen” bezeichnet. PPF will mit der angekündigten Teilofferte für bis zu rund 300 Millionen Euro seine Beteiligung von nur gut 15 auf bis zu 29,99 Prozent aufstocken. MFE hatte mit seinem freiwilligen Angebot die Schwelle von 30 Prozent überschritten und kann nun weiter am Markt aufstocken, ohne ein Pflichtangebot für ProSiebenSat.1 abgeben zu müssen. Die Italiener rechnen aber nicht damit, auf eine Mehrheit zu kommen.
“CREEPING IN CONTROL” – AUFSICHTSRATSCHEF KRITISIERT MFE
Wiele kritisierte hier, dass MFE kein weiteres Pflichtangebot abgeben müsse. Damit sei die Gefahr sehr groß, dass dies den Aktienkurs dauerhaft beschädige und damit die Kleinaktionäre um das Wertentwicklungspotential ihrer Aktien bringe. “In der Fachsprache heißt das nicht umsonst ‘Creeping in Control’ – sich in die Kontrolle schleichen”, erklärte Wiele. Hier seien der Gesetzgeber und die neue Bundesjustizministerin Stefanie Hubig gefordert, sagte Wiele und verwies auf Regeln wie in Großbritannien, wo ein Investor bei Überschreiten der 50-Prozent-Schwelle allen Aktionären erneut ein Übernahmeangebot unterbreiten müsse.
MFE schwebt unter anderem eine gemeinsame Streaming-Plattform vor, um dem US-Riesen Netflix besser Paroli zu bieten. Zudem dringt MFE auf einen beschleunigten Verkauf der Online-Beteiligungen von ProSiebenSat.1, um die Schuldenlast zu senken und Geld in die Kasse zu bekommen. PPF will dagegen lieber etwas warten, um mehr für Beteiligungen wie den Kosmetik-Onlinehändler Flaconi oder die Dating-Plattform Meet Group zu erlösen – “zu angemessenen Preisen”, wie ein PPF-Vertreter bekräftigte.
Vizepräsidentin Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) appellierte an MFE und PPF, an einem Strang zu ziehen. “Der Markt ist nämlich schon schwierig genug – wir brauchen nicht noch Streitigkeiten unter den Aktionären.”
ProSiebenSat.1-Chef Bert Habets verteidigte derweil den Strategieschwenk auf TV und Unterhaltung. “Wir konzentrieren uns voll und ganz auf Entertainment”, sagte Habets, dessen Vertrag jüngst für drei Jahre verlängert wurde. Nach der Veräußerung des Vergleichsportals Verivox werde sich das Management weiter von Randaktivitäten trennen. “Wir werden diesen Weg fortsetzen und uns dabei auf den Verkauf von gut performenden, nicht zum Kerngeschäft gehörenden Beteiligungen konzentrieren, wie zum Beispiel Flaconi.” Habets rechtfertigte auch den geplanten Abbau von 430 Vollzeitstellen.
(Bericht von Klaus Lauer, Isabel Demetz und Bernadette Hogg, redigiert von Ralf Banser; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)