Humanitäre Lage im Gazastreifen verschärft sich immer mehr

– von Nidal al-Mughrabi

Kairo/Gaza (Reuters) – Im Gazastreifen sind nach Angaben der örtlichen Gesundheitsbehörden in den vergangenen 24 Stunden vier Kinder verhungert, darunter ein sechs Wochen alter Säugling.

Insgesamt seien 15 Menschen binnen eines Tages an den Folgen von Unterernährung gestorben, teilten die von der radikal-islamischen Hamas kontrollierten Behörden am Dienstag weiter mit. Unterernährung tötet demnach inzwischen mehr Palästinenser als zu jedem anderen Zeitpunkt in dem 21-monatigen Krieg. Insgesamt seien während des Konflikts mindestens 101 Menschen an Hunger gestorben, darunter 80 Kinder. Die meisten dieser Todesfälle hätten sich in den vergangenen Wochen ereignet.

Angesichts der Entwicklungen werden in Deutschland Forderungen aus der SPD lauter, dass die Bundesregierung ihren Israel-Kurs verschärfen sollte. Fraktionschef Matthias Miersch und Entwicklungshilfeministerin Reem Alabali Radovan als erstes Mitglied der Bundesregierung forderten, den Druck auf die Regierung in Jerusalem zu erhöhen. Deutschland sollte sich der Initiative mehrerer Partnerstaaten anschließen, die ein sofortiges Ende des Kriegs im Gazastreifen forderten, mahnten beide. “Es braucht jetzt – nicht irgendwann – einen sofortigen und nachhaltigen Waffenstillstand”, sagte Alabali Radovan der “Rheinischen Post”.

Am Montag hatten 25 westliche Staaten ein sofortiges Ende des Gaza-Krieges gefordert und das “inhumane Töten” von Palästinensern verurteilt. Zu den Unterzeichnern zählen unter anderem Frankreich, Großbritannien, Italien sowie Kanada und Japan. Deutschland ist nicht dabei. Aus dem Auswärtigen Amt hieß es am Dienstag, zu allen Themen der Erklärung der Partner habe Außenminister Johann Wadephul am Montag direkt mit dem israelischen Ressortchef Gideon Saar gesprochen. “Insbesondere hat er seine größte Sorge über die katastrophale humanitäre Lage in Gaza ausgedrückt und die israelische Regierung dringend dazu aufgefordert, die Vereinbarung mit der EU zur Ermöglichung humanitärer Hilfe umzusetzen”, hieß es aus dem Ministerium weiter.

Bundeskanzler Friedrich Merz hatte das Vorgehen Israels im Gazastreifen am Montagabend scharf kritisiert. “Das ist so nicht akzeptabel, wie die israelische Armee dort vorgeht”, sagte Merz in Berlin. Dies habe er dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in einem Telefonat vergangenen Freitag auch mitgeteilt.

VON DER LEYEN: BILDER SIND “UNERTRÄGLICH”

Die humanitäre Lage im Gazastreifen spitzt sich immer weiter zu. Die Krankenhäuser seien mit der Zahl der Schussverletzten bereits überlastet, sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums. Wegen des Mangels an Lebensmitteln und Medikamenten könnten sie bei hungerbedingten Symptomen kaum noch helfen. Etwa 600.000 Menschen litten an Unterernährung. Der Chef des UN-Palästinenserhilfswerks (UNRWA), Philippe Lazzarini, erklärte, dass auch Helfer, Ärzte und Journalisten im Dienst wegen Hunger und Erschöpfung ohnmächtig würden.

Die Tötung von Zivilisten und die Behinderung von Hilfslieferungen haben zu internationaler Kritik an Israel geführt. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nannte die Bilder von bei Hilfslieferungen getöteten Zivilisten “unerträglich”. Das israelische Militär teilte mit, es betrachte die Lieferung humanitärer Hilfe als Angelegenheit von höchster Bedeutung. Es wies den Vorwurf zurück, Hilfslieferungen zu blockieren, und beschuldigte die radikal-islamische Hamas, Lebensmittel zu stehlen. Die Hamas bestreitet dies.

Israel begann seinen Militäreinsatz nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023, bei dem nach israelischen Angaben mindestens 1200 Menschen getötet und etwa 250 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden. Seither sind in dem Gebiet nach Angaben der dortigen Gesundheitsbehörden fast 60.000 Menschen durch israelische Angriffe getötet worden. Indirekte Gespräche zwischen Israel und der Hamas über eine Waffenruhe in Doha haben bislang zu keinem Durchbruch geführt.

(Weitere Reporter: Geert De Clercq, Sarah Marsh, Alexander Ratz; Bearbeitet von Alexander Ratz; Redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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