Selenskyj wegen Einschränkung der Korruptionsbekämpfer unter Druck

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Berlin/Kiew (Reuters) – Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gerät wegen seines Vorgehens gegen die Korruptionsbekämpfung unter Druck im Inland und bei seinen EU-Verbündeten.

Bundesaußenminister Johann Wadephul kritisierte die Entscheidung Selenskyjs, die Autonomie zweier Schlüsselbehörden faktisch auszuhebeln. Dies “belastet den Weg der Ukraine in die EU”, sagte Wadephul am Mittwoch zu “Bild”. “Ich erwarte von der Ukraine die konsequente Fortsetzung der Korruptionsbekämpfung.” Kritik kam auch aus Frankreich und von der Europäischen Union. Selenskyj begründete seine Entscheidung damit, russischen Einfluss in den Behörden zu bekämpfen.

Am Mittwoch sicherte der Präsident die Ausarbeitung eines neuen Plans zur Korruptionsbekämpfung innerhalb von zwei Wochen zu. Dies kündigte er nach einem Treffen mit Vertretern von Anti-Korruptions- und Sicherheitsbehörden an. “Wir alle hören, was die Gesellschaft sagt. Wir sehen, was die Menschen von den staatlichen Institutionen erwarten – nämlich eine garantierte Gerechtigkeit und das effektive Funktionieren jeder Einrichtung”, sagte Selenskyj. Die Bekämpfung der weit verbreiteten Korruption ist eine wichtige Voraussetzung für den von der Ukraine angestrebten Beitritt zur EU und die Sicherung milliardenschwerer westlicher Hilfsgelder.

Am Dienstag hatte es landesweite Proteste gegen die Einschränkung der Unabhängigkeit von Anti-Korruptionsbehörden gegeben. Zuvor hatte das Parlament in Kiew ein von Selenskyj eingebrachtes Gesetz verabschiedet, das die Autonomie ukrainischer Anti-Korruptionsbehörden begrenzt. Es ermöglicht dem vom Präsidenten ernannten Generalstaatsanwalt, mehr Kontrolle über das Nationale Antikorruptionsbüro Nabu und die auf Korruptionsbekämpfung spezialisierte Staatsanwaltschaft Sapo auszuüben.

“ES IST NICHT ZU SPÄT”

Selenskyj begründete das Vorgehen am Dienstag damit, die Behörden müssten von russischem Einfluss “gesäubert” und ihre Arbeit gestärkt und beschleunigt werden. Tags zuvor hatte der ukrainische Inlandsgeheimdienst zwei Nabu-Beamte wegen mutmaßlicher Verbindungen zu Russland festgenommen und Durchsuchungen bei Mitarbeitern der Behörde vorgenommen. Kritiker bezeichneten dies als überzogen. Das neue Gesetz erlaubt es dem Generalstaatsanwalt nun, den Behörden Fälle zu entziehen und Staatsanwälte neu zuzuweisen. Kritiker werfen der Regierung vor, dies sei eine politisch motivierte Reaktion auf die Ermittlungserfolge der Behörden.

Wadephul verwies darauf, dass er sich bei seinem jüngsten Besuch in Kiew auch mit den Leitern der beiden betroffenen Behörden Nabu und Sapo getroffen habe. Die Anti-Korruptionsbehörden forderten am Mittwoch die Wiederherstellung ihrer vollen Unabhängigkeit. “Es sind klare und unmissverständliche gesetzliche Schritte notwendig, um die vom Parlament aufgehobenen Garantien wiederherzustellen”, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung des Nationalen Anti-Korruptionsbüros und der Spezialisierten Anti-Korruptions-Staatsanwaltschaft.

EU-Erweiterungskommissarin Marta Kos äußerte sich besorgt. Der Abbau wichtiger Schutzmechanismen für die Unabhängigkeit der Behörden sei ein schwerwiegender Rückschritt. Der französische Europaminister Benjamin Haddad erklärte, es sei für die Ukraine noch nicht zu spät, ihre Entscheidung zurückzunehmen. “Wir werden bei diesem Thema äußerst wachsam sein”, sagte Haddad dem Radiosender France Inter.

In Kiew kündigte der Oppositionspolitiker Jaroslaw Schelesnjak an, er werde mit mehreren anderen Abgeordneten einen Gesetzentwurf einbringen, “um diese große Schande, die beschlossen und unterzeichnet wurde, rückgängig zu machen”. Zudem wolle man das Gesetz vor dem Verfassungsgericht anfechten.

(Bericht von Anastasiia Malenko, Olena Harmash und Alexander Ratz, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich an berlin.newsroom@tr.com)

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