Frankfurt/Berlin (Reuters) – Nach einer Serie von sieben Zinssenkungen in Folge pausiert die EZB und lässt Anleger über den weiteren Kurs rätseln.
Der EZB-Rat in Frankfurt beschloss am Donnerstag, den Einlagesatz bei 2,0 Prozent zu belassen. Ihn erhalten Banken, wenn sie bei der Zentralbank Geld parken. Über den Zinssatz steuert der EZB-Rat den geldpolitischen Kurs. Angesichts des transatlantischen Zollstreits und der noch nicht absehbaren Folgen für Inflation und Konjunktur im Euroraum ist die Zentralbank laut EZB-Chefin Christine Lagarde in einen Modus von “Warten und Beobachten” gewechselt. Marktspekulationen über eine weitere Zinssenkung, die Experten zufolge im September kommen könnte, wollte sie nicht weiter anheizen.
Sollten die Handelsspannungen kurzfristig gelöst werden, könne dies die Unsicherheit in der Wirtschaft verringern und der Europäischen Zentralbank helfen, die Auswirkungen des Konflikts zu “modellieren”, sagte Lagarde. Mit Blick auf die Zukunft werde sich die EZB nicht vorab festlegen. “Ich würde nichts ausschließen”, so die EZB-Chefin.
Die Notenbank hatte die Inflation zunächst mit Zinserhöhungen bekämpft, im vergangenen Jahr aber die Trendwende eingeleitet und den Leitzins seit Juni 2024 insgesamt achtmal gesenkt. Wie lange die Pause nun dauern wird, ist unklar. Die Währungshüter dürften nach Einschätzung vieler Beobachter zunächst abwarten, wie sich der Zollstreit weiter entwickelt. US-Präsident Donald Trump hat angekündigt, dass ab dem 1. August Zusatzzölle von 30 Prozent anstelle des im April eingeführten Basiszollsatzes von zehn Prozent auf Importe aus der EU in Kraft treten sollen. Die EU hofft weiter auf eine Verhandlungslösung. Nach Japan steuert die Europäische Union Diplomaten zufolge auf ein Handelsabkommen mit den USA zu, das ebenfalls einen Basiszoll von 15 Prozent auf EU-Waren beinhalten könnte. Der Ausgang des Zollkonflikts dürfte für den weiteren Verlauf der Inflation im Euroraum große Auswirkungen haben.
Die Teuerungsrate lag im Juni bei 2,0 Prozent, womit die Währungshüter ihr Ziel exakt erreicht haben. “Allerdings profitierte sie von der kräftigen Aufwertung des Euro um mehr als zehn Prozent seit Januar, die Importe verbilligt und so den Preisdruck senkt”, gibt der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Jörg Asmussen zu bedenken. Es bleibe abzuwarten, wie nachhaltig dieser Effekt sei, gibt der Ökonom zu bedenken, der früher selbst im Direktorium der EZB saß.
EURO UNTER BEOBACHTUNG
Laut Michael Heise, Chefökonom von HQ Trust, könnte eine weitere Zinssenkung der EZB im September anstehen: “Bei einer Einigung im Handelsstreit mit den USA, einem Verzicht auf Gegenzölle der EU und einer tendenziellen Euro-Aufwertung dürfte die Inflation im Euroraum weiter leicht zurückgehen.”
Die EZB behält den in diesem Jahr stark aufgewerteten Euro Lagarde zufolge im Auge. Die Währungshüter verfolgen zwar kein Wechselkursziel: “Wir beobachten den Wechselkurs jedoch, da er für unsere Inflationsprognose von Bedeutung ist.”
Spitzenvertreter der EZB hatten kürzlich vor negativen Folgen eines weiter steigenden Euro für die Wirtschaft gewarnt. Nach den Worten von EZB-Vizepräsident Luis de Guindos kann die Zentralbank zwar über einen Anstieg des Euro bis auf 1,20 Dollar weitgehend hinwegsehen. Darüber hinaus werde es aber “viel komplizierter”, warnte der Spanier. Lagarde verwies auf dessen Aussage, wonach der Wechselkurs bei der Inflationsprognose berücksichtigt werde. “Was unsere Botschaft zum Wechselkurs betrifft, sind wir uns da vollkommen einig”, fügte die EZB-Chefin hinzu.
Die europäische Gemeinschaftswährung wurde zuletzt bei rund 1,1780 Dollar gehandelt. Sie hat seit Jahresbeginn um rund zwölf Prozent aufgewertet, was Importe in die Euro-Zone verbilligt und damit tendenziell den Inflationsdruck mindert. Die kräftige Aufwertung bereitet zugleich den exportorientierten Unternehmen in Deutschland zunehmend Sorgen.
(Bericht von Reinhard Becker, Mitarbeit Rene Wagner, Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)