Berlin/Paris/Brüssel (Reuters) – Das vorläufige Handelsabkommen zwischen der EU und den USA ist in Europa auf deutliche Kritik gestoßen.
Frankreichs Ministerpräsident Francois Bayrou sprach am Montag von einem “düsteren Tag”. Kritisiert wurde, dass der Deal unausgewogen sei und viel mehr Vorteile für die USA als für Europa bringe. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban sagte, Großbritannien habe besser mit US-Präsident Donald Trump verhandelt als die EU. “Trump hat Kommissionspräsidentin (Ursula) von der Leyen zum Frühstück verspeist.” Die EU muss künftig deutlich höhere Zölle als die USA zahlen, auf die meisten Produkte 15 Prozent. Die deutsche Wirtschaft sprach von einem fatalen Signal und einer neuen Handelsordnung.
Frankreich hatte sich über Monate für eine härtere Verhandlungsführung der EU-Kommission ausgesprochen. “Trump versteht nur Stärke”, sagte Handelsminister Laurent Saint-Martin jetzt im Radiosender France Inter. Der rechtsgerichtete und EU-kritische Orban sagte, Trump sei bei Verhandlungen ein Schwer- und von der Leyen ein Leichtgewicht. Deutschland äußerte sich weniger kritisch. Bundeskanzler Friedrich Merz lobte, dass eine Eskalation vermieden worden sei. Er verwies zudem auf Vorteile für Automobilwirtschaft, bei der die gegenwärtigen US-Zölle von 27,5 auf 15 Prozent reduziert würden. Allerdings muss die EU einem Insider zufolge ihre Importzölle für Autos aus den USA auf 2,5 Prozent senken.
EU-Handelskommissar Maros Sefcovic zufolge wurden Millionen Jobs in Europa gesichert. “Dieser Deal ist besser als ein Handelskrieg mit den USA.” Die Kommission habe das beste Ergebnis herausgeholt, sagte er in Brüssel. US-Zölle in Höhe von 15 Prozent seien noch akzeptabel. Die von Trump angedrohten 30 Prozent, die bei einem Scheitern der Gespräche ab August im Raum standen, hätten den transatlantischen Handel zum Erliegen gebracht. Es habe entsprechend viel auf dem Spiel gestanden.
BDI: “SCHLAG INS KONTOR” WEGEN VERHANDLUNGSSCHWÄCHE DER EU
Die EU und die USA hatten ihren monatelangen Handelsstreit am Sonntag auf Trumps Golfplatz im schottischen Turnberry entschärft. Die EU zahlte dabei aber einen hohen Preis. Die 15 Prozent sind gemessen an den ursprünglichen Plänen – Null-Zölle auf alle Industriegüter und ein fairer Deal mit Vorteilen für beide Seiten – sehr viel. Die EU hat sich zudem verpflichtet, über einen Zeitraum von drei Jahren US-Flüssiggas (LNG) im Wert von 750 Milliarden Dollar zu kaufen. Private Firmen aus der EU sollen zudem 600 Milliarden Dollar in den USA investieren. Details dazu sind noch offen.
Der deutsche Industrieverband BDI wertete die US-Zölle als Einstieg in eine neue Handelsordnung. “Wir erreichen hier Zollhöhen, die wir so noch nie gesehen haben”, sagte BDI-Lobbyist Wolfgang Niedermark. Dies sei ein Schlag ins Kontor und kein guter Tag für die Wirtschaft. “Wir rechnen mit deutlichen Wachstumseinbußen für unsere Industrie.” Europa sei nicht in einer guten Verhandlungsposition gewesen und müsse seine Wettbewerbsfähigkeit dringend stärken, um bessere Ergebnisse erzielen zu können. Der Deal gebe nur eine vermeintliche Sicherheit, auch wenn er für einige Branchen Vorteile bringe.
In Teilen der Bundesregierung wird befürchtet, dass der Deal nicht lange Bestand haben könnte und Unsicherheit bleibt. Ein Regierungssprecher sagte in Berlin, in einigen Bereichen gebe es noch Klärungsbedarf, wofür weitere Verhandlungen nötig seien. Als Beispiel wurde die Stahlbranche genannt, für die weiter sehr hohe Zölle von 50 Prozent gelten sollen. Die zugesagten Einkäufe der EU von Energie in den USA von 750 Milliarden Dollar in der Amtsperiode von Trump diene der Unabhängigkeit von russischer Energie, so der Regierungssprecher. Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche nannte US-Zölle von 15 Prozent eine Herausforderung. “Aber der gute Teil daran – es gibt Sicherheit.” Die Vereinbarung zwischen Trump und von der Leyen müsse Bestand haben.
Der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen sprach von einem folgenreichen Rückschritt, der mit dem jahrzehntelangen Prinzip des zollfreien Arzneimittelhandels breche. “Dieser Abschluss besiegelt nun Milliardenbelastungen für den Pharmastandort Deutschland”, so Verbandspräsident Han Steutel. “Das sind keine guten Nachrichten für Jobs und für Investitionen.”
BÖRSE ERLEICHTERT – ÖKONOMEN VORSICHTIG
An der Börse in Frankfurt sorgte der Deal zunächst für steigende Kurse. Hier wurde eine im Raum stehende Eskalation befürchtet, hätte es bis Ende Juli keine Verständigung gegeben. Allerdings fürchten viele Ökonomen Nachteile für Deutschland und die EU. Das deutsche Bruttoinlandsprodukt könnte jährlich um knapp 0,2 Prozent reduziert werden, rechnete die VP Bank vor.
In Deutschland hinterließen die schon geltenden US-Zölle Spuren beim Ingolstädter Autobauer Audi. Allein im ersten Halbjahr kosteten diese 600 Millionen Euro. Bislang habe Audi die Abgaben von 27,5 Prozent nicht an die Kunden weitergegeben, sagte Finanzchef Jürgen Rittersberger am Montag bei Vorlage der Geschäftszahlen. Preiserhöhungen in den USA schloss er dabei nicht aus.
(Bericht von Christian Krämer, Sudip Kar-Gupta, Krisztina Than, Christina Amann, Patricia Weiß, Rene Wagner und Markus Wacket. Redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)