Neu Delhi/Mailand/Rom (Reuters) – Mit dem Kauf des italienischen Lkw-Herstellers Iveco will die indische Tata-Gruppe auch bei Nutzfahrzeugen in Europa Fuß fassen.
Bisher sind Tata-Lkw vor allem in Indien und anderen Entwicklungsländern zu sehen. Die 3,8 Milliarden Euro schwere Übernahme mache die Gruppe “auf globaler Basis wettbewerbsfähig”, sagte Tata-Motors-Verwaltungsratschef N Chandrasekaran am Donnerstag. In Europa sei man damit auf Augenhöhe mit den Branchenriesen Volvo und Daimler Truck. Iveco erwirtschaftete im vergangenen Jahr drei Viertel seines Umsatzes in Europa, ist aber der kleinste Lkw-Hersteller auf dem alten Kontinent.
Das eigene Nutzfahrzeug-Geschäft von Tata und Iveco zusammen erwirtschaftete – das Militär-Geschäft von Iveco ausgeklammert – die Hälfte des gemeinsamen Umsatzes von 22 Milliarden Euro in Europa, 35 Prozent in Indien und 15 Prozent in Nord- und Südamerika, rechnete Tata vor. Technisch wollen die Inder von der Entwicklung von Elektro-Lkw und von Getrieben bei Iveco profitieren. Am Umsatz gemessen sind sie damit aber gemeinsam nicht einmal halb so groß wie die Branchenriesen Daimler Truck, Traton (MAN und Scania) und Volvo. Tata wolle künftig Iveco-Lkw auch in Indien verkaufen, in Südamerika sollen im Gegenzug auch Tata-Lastwagen angeboten werden.
Für Tata ist es die größte Übernahme seit 2008, als die Inder für 2,3 Milliarden Dollar Jaguar Land Rover von Ford kauften und sich damit ein Standbein in Europa verschafften. In China und den USA ist das lukrative Geschäft allerdings zuletzt unter Druck gekommen. Tata hatte bereits im vergangenen Jahr eine Aufspaltung des Konzerns in drei Teile angekündigt: Pkw, Lkw und Elektroautos. Die Übernahme von Iveco sei “der nächste logische Schritt”, sagte Chandrasekaran. Finanzieren will Tata die Transaktion mit Krediten, zudem sei eine Kapitalerhöhung um rund eine Milliarde Euro in den nächsten 18 Monaten geplant.
Für Iveco bedeutet der Verkauf an Tata eine Aufspaltung. Das Militärgeschäft nämlich soll noch vorher für 1,7 Milliarden Euro an den italienischen Rüstungskonzern Leonardo gehen. Die Verteidigungssparte galt lange als Hinderungsgrund für eine Übernahme von Iveco. Die Militär-Lkw will Leonardo wiederum an Rheinmetall weiterreichen, wie der Düsseldorfer Konzern erklärte. Leonardo-Chef Roberto Cingolani sagte, man habe die Iveco-Sparte ursprünglich gemeinsam mit Rheinmetall kaufen wollen. Um die Transaktion zu beschleunigen, habe Leonardo aber beschlossen, den Weg allein zu gehen. Das sei “einfacher und bequemer” gewesen.
MELONI BEGRÜSST EINSTIEG VON TATA
Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni begrüßte den Einstieg von Tata bei Iveco als “ausländisches Qualitäts-Investment”, betonte aber, die Regierung werde genau darauf achten, dass Arbeitsplätze, strategische Ressourcen und die Lieferketten gesichert würden. Die Metallgewerkschaft FIOM nannte es “inakzeptabel”, dass sie nicht vorher eingeschaltet worden sei. Der neue Iveco-Chef Olof Persson sagte, Tata habe sich dazu verpflichtet, die Identität, das Produktionsnetz und die Belegschaft von Iveco zu erhalten.
Für die Industriellenfamilie Agnelli bedeutet der Verkauf von Iveco den Ausstieg aus dem Nutzfahrzeug-Geschäft. Iveco war 1975 unter Führung von Fiat aus fünf Lkw-Herstellern entstanden. In dem Unternehmen ging auch die deutsche Magirus Deutz auf. Die Agnelli-Holding Exor verkauft nun ihren 27-Prozent-Anteil an Tata. Die Inder bieten 14,10 Euro je Aktie, vorher aber sollen die Iveco-Aktionäre eine Sonderausschüttung von 5,50 bis 6,00 Euro je Aktie aus dem Verkauf der Rüstungssparte erhalten. An der Mailänder Börse fielen Iveco am Donnerstag um 4,5 Prozent auf 18,15 Euro. Die Aktien sollen nach dem Verkauf vom Kurszettel gestrichen werden.
(Bericht von Aditi Shah, Giulia Segreti und Giulio Piovaccari; Geschrieben von Alexander Hübner, redigiert von Myria Mildenberger. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)