Frankfurt (Reuters) – Bayer will sich von der Last der Glyphosat-Klagewelle in den USA befreien und sieht sich trotz neuer Milliardenrückstellungen auf gutem Weg.
“Wir treffen die nötigen Entscheidungen, damit das Unternehmen die Rechtsstreitigkeiten hinter sich lassen kann”, sagte Vorstandschef Bill Anderson am Mittwoch bei der Vorlage der Halbjahresbilanz. Tausende Glyphosat-Fälle seien zuletzt vertraulich und zu niedrigen Durchschnittskosten beigelegt worden. Anderson bekräftigte das Ziel, die juristischen Risiken bis Ende 2026 deutlich zu senken. Dabei setze der Konzern nicht nur auf die Justiz. “Nichts ist vom Tisch”, betonte Anderson und drohte erneut, das Glyphosat-Geschäft in den USA im Zweifel ganz einzustellen.
Der krisengeplagte Leverkusener Pharma- und Agrarkonzern hatte bereits in der vergangenen Woche vorläufige Zahlen für das zweite Quartal veröffentlicht und seine währungsbereinigte Prognose angehoben, da das Pharmageschäft besser als erwartet läuft. Zugleich bildete Bayer jedoch zusätzliche Rückstellungen von rund 1,7 Milliarden Euro für die Rechtsstreitigkeiten rund um Glyphosat und die Chemikalie PCB. Anlass war unter anderem die Bestätigung eines für Bayer nachteiligen Glyphosat-Urteils durch ein Berufungsgericht in Missouri im Mai.
Im Zentrum der juristischen Strategie steht weiter der Oberste Gerichtshof der USA. Der Supreme Court hatte Ende Juni den US-Generalstaatsanwalt um eine Stellungnahme zu Bayers Antrag auf Revision eines Glyphosat-Urteils gebeten. Diese erwartet Anderson in den “nächsten Wochen oder Monaten”. Erst danach entscheidet sich, ob sich das Gericht mit dem Fall befasst. Ein Urteil wäre damit bis zum Sommer kommenden Jahres möglich. Bayer erhofft sich davon Rechtssicherheit, um künftige Klagen zu verhindern.
Parallel arbeitet der Konzern gemeinsam mit Landwirtschaftsverbänden an politischen Initiativen für mehr Rechtssicherheit bei der Kennzeichnung glyphosathaltiger Produkte. Denn die US-Umweltbehörde EPA hat Glyphosat als nicht krebserregend eingestuft und daher Warnhinweise auf den Produkten untersagt. Anderson zufolge ist das Glyphosat-Geschäft für Bayer wegen der “unbegrenzten Prozessflut” kaum noch tragbar. Es handele sich um ein älteres und wenig profitables Produkt. Sollte sich an der rechtlichen Lage nichts ändern, werde Bayer die Produktion einstellen müssen. Die Unsicherheit belaste auch künftige Investitionen. So müsse der Konzern genau abwägen, ob er sein erstes neues Herbizid seit rund 30 Jahren, Icafolin, überhaupt in den USA auf den Markt bringen könne.
Die Klagewelle hatte sich Bayer 2018 mit der 63 Milliarden Dollar teuren Übernahme des Glyphosat-Entwicklers Monsanto ins Haus geholt. Derzeit sind noch rund 61.000 Klagen offen.
UMBAU KOSTET 12.000 STELLEN
Um den Konzern wieder auf Kurs zu bringen, setzt Anderson neben der Lösung der Rechtsstreitigkeiten auf einen tiefgreifenden Umbau. Im Zuge dessen hat Bayer bislang rund 12.000 Stellen abgebaut – weitere Streichungen könnten in den nächsten 18 Monaten folgen. Ende Juni lag die Zahl der weltweiten Mitarbeiter bei knapp 90.000. Mit seinem neuen Organisationsmodell will Anderson Bürokratie abbauen und Entscheidungsprozesse beschleunigen. Allein im vergangenen Jahr wurden 7000 Stellen, vor allem im Management, gestrichen und die Zahl der Führungsebenen halbiert.
Mit Blick auf das operative Geschäft verwies Anderson auf Fortschritte bei der Profitabilität im Agrargeschäft sowie auf positive Nachrichten aus der Pharma-Pipeline. Zudem habe die US-Umweltbehörde EPA die erneute Zulassung des Pflanzenschutzmittels Dicamba vorgeschlagen. Im zweiten Quartal lag der operative bereinigte Gewinn (Ebitda) mit 2,1 Milliarden Euro deutlich über den Analystenerwartungen. Dazu trug auch ein Sondereffekt bei: Der Verkauf des Fußball-Nationalspielers Florian Wirtz von der Konzerntochter Bayer 04 Leverkusen an den FC Liverpool für bis zu 150 Millionen Euro. Analysten verwiesen auf diesen Effekt – und warnten, dass der überraschend starke Gewinn zu großen Teilen nicht aus dem operativen Geschäft stammt. Bayer-Aktien gehörten mit einem Minus von fünf Prozent zu den größten Dax-Verlierern.
(Bericht von Patricia Weiß, redigiert von Philipp Krach. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)