Britische Wirtschaft wächst überraschend kräftig – “Bleibt fragil”

London (Reuters) – Die britische Wirtschaft hat nach einem starken Jahresauftakt ihr Wachstum im zweiten Quartal mehr als halbiert und dennoch positiv überrascht.

Das Bruttoinlandsprodukt wuchs von April bis Juni um 0,3 Prozent im Vergleich zu den ersten drei Monaten, wie das Statistikamt ONS am Donnerstag in London mitteilte. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten lediglich mit einem Plus von 0,1 Prozent gerechnet, nachdem es im ersten Quartal noch zu einem Wachstum von 0,7 Prozent gereicht hatte – dem höchsten Wert aller großen Industrienationen (G7). Zuletzt legten Dienstleister, Industrie- und Bauproduktion überraschend kräftig zu. Allerdings sanken die Investitionen im Frühjahr.

Wirtschaftsverbände äußerten sich daher kritisch. “Die Zahlen bestätigen, dass das starke Wachstum vom Jahresanfang einmalig war und die grundlegenden Bedingungen fragil bleiben”, sagte der Chefökonom des Industrieverbands CBI, Ben Jones. “Angesichts steigender Unternehmenskosten, einer Abkühlung des Arbeitsmarktes, nachlassender Investitionsabsichten und eines allgemein gedämpften Vertrauens bewegt sich Großbritannien auf einem schmalen Grat zwischen Widerstandsfähigkeit und Stagnation.” Hinzu kommen noch die Zölle von zehn Prozent auf Warenexporte in die USA. Auch fürchten viele Manager, dass Finanzministerin Rachel Reeves wegen der angespannten Haushaltslage weitere Steuererhöhungen durchsetzen könnte.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) sagt der britischen Wirtschaft in diesem Jahr ein Wachstum von 1,2 Prozent voraus, 2026 von 1,4 Prozent. Das Tempo wäre damit etwas schneller als in der Euro-Zone und in Japan, jedoch langsamer als in den USA und Kanada.

Trotz der robusten Konjunktur hat sich der britische Arbeitsmarkt zuletzt abgekühlt. Die Zahl der Beschäftigten fiel im Juli den sechsten Monat in Folge, und zwar um 8000 auf 30,3 Millionen. Zudem sank die Zahl der offenen Stellen erneut. Hier gab es in den drei Monaten bis Juli einen Rückgang um 44.000 auf 718.000 – den niedrigsten Stand seit April 2021.

Ein Problem ist die hohe Inflation. Dadurch sind die Zinsen vergleichsweise hoch, was Investitionen teurer macht. Zwar senkte die Bank of England ihren Leitzins vorige Woche von 4,25 auf 4,00 Prozent. In der Euro-Zone ist das Zinsniveau aber nur halb so hoch. Die Währungshüter sehen in den steigenden Lohnkosten einen Grund für die im europäischen Vergleich höhere Inflation im Land, die zuletzt auf 3,6 Prozent gestiegen ist – das höchste Niveau seit Januar 2024. Die Notenbank will weiterhin auf das Risiko achten, dass steigende Preise – insbesondere für Lebensmittel – zu höheren Lohnabschlüssen und längerfristigem Preisdruck führen könnten.

(Bericht von David Milliken, geschrieben von Rene Wagner; Redigiert von Philipp Krach; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

tagreuters.com2025binary_LYNXMPEL7D08S-VIEWIMAGE