Berlin (Reuters) – Nach langer Krise geht es im deutschen Wohnungsbau von niedrigem Niveau aus wieder bergauf.
Die Zahl der Baugenehmigungen wuchs im ersten Halbjahr um 2,9 Prozent oder 3100 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf 110.000 Wohnungen, wie das Statistische Bundesamt am Montag mitteilte. Allerdings war sie ein Jahr zuvor auf den niedrigsten Stand für die ersten sechs Monate seit 2010 gesunken. Höhere Zinsen und teure Baumaterialien hatten den jahrelangen Bauboom beendet. Für die Belebung sorgte diesmal nahezu ausschließlich die anziehende Nachfrage nach Einfamilienhäusern.
Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie sieht noch keinen Grund zum Jubeln. “Denn der enorme Wohnungsmangel in Ballungsgebieten und ihrem Umland hält trotz hohem Bedarf weiter an”, sagte Hauptgeschäftsführer Tim-Oliver Müller. Im Zangengriff weiterhin hoher Zinsen und Baukosten springe der Wohnungsbau bisher nicht an. “Eines der größten Hemmnisse für die Ausweitung des Wohnungsbaus ist – vor allem in den Ballungsgebieten – das nicht ausreichend zur Verfügung stehende und zu teure Bauland”, sagte Müller.
Zuletzt zeigte der Trend bei den Genehmigungen deutlicher nach oben: Im Juni allein wurden Zusagen für rund 19.000 Wohnungen erteilt und damit 7,9 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. “Von einer Trendwende kann dennoch keine Rede sein”, sagte die Hauptgeschäftsführerin des Spitzenverbands der Immobilienwirtschaft ZIA, Aygül Özkan.
“NICHT MEHR REALISTISCH”
Frische Impulse soll der sogenannte Bau-Turbo der Bundesregierung bringen. So sollen Kommunen die Möglichkeit erhalten, Genehmigungsverfahren zu straffen, indem sie von Bebauungsplänen abweichen können. Ziel ist es, dass schneller gebaut, nachverdichtet oder aufgestockt werden kann. Experten rechnen aber vorerst mit einem überschaubaren Effekt. In Deutschland dürften im laufenden Jahr voraussichtlich 205.000 Wohnungen fertiggestellt werden und damit 19 Prozent weniger als 2024, wie die Forschergruppe Euroconstruct voraussagt. Zu ihr gehört das Münchner Ifo-Institut. Im kommenden Jahr soll es einen weiteren Rückgang von zehn Prozent auf 185.000 geben. “In einem weiter sehr schwierigen Markt haben sich die Rahmenbedingungen – darunter Finanzierung, Reallöhne, Immobilienpreise, erzielbare Mieten – inzwischen etwas verbessert”, sagte Ifo-Bauexperte Ludwig Dorffmeister. Dennoch dürften die Fertigstellungen erst 2027 wieder steigen und dann auch nur auf rund 195.000 Wohnungen. Frühere Bundesregierungen hatten sich ein Ziel von 400.000 Wohnungen pro Jahr gesetzt.
Von Januar bis Juni stieg allein die Zahl der Baugenehmigungen für Einfamilienhäuser kräftig: Hier gab es ein Plus von 14,1 Prozent auf 21.300, wie das Statistikamt erklärte. Bei den Zweifamilienhäusern gab es dagegen einen Rückgang von 8,3 Prozent auf 6000. Bei der zahlenmäßig stärksten Gebäudeart, den Mehrfamilienhäusern, stagnierte die Entwicklung nahezu: Hier wurden 57.300 Wohnungen genehmigt, ein Plus von 0,1 Prozent oder 31 Wohnungen. “Bei den so dringend benötigten Mehrfamilienhäusern gibt es kaum Veränderung”, sagte ZIA-Hauptgeschäftsführerin Özkan.
Wegen hoher Kosten träumen weniger Deutsche von den eigenen vier Wänden. Nur noch 33 Prozent nennen Wohneigentum als Sparziel, wie aus der Sommerumfrage des Verbandes der Privaten Bausparkassen unter 2000 Menschen in Deutschland hervorgeht. Das seien zehn Prozentpunkte weniger als im Vorjahr. Besonders bei jüngeren und mittleren Altersgruppen geht das Motiv “eigenes Zuhause” demnach deutlich zurück. “Viele Menschen scheinen inzwischen zu glauben, dass Wohneigentum für sie ohnehin nicht mehr realistisch ist – und haben sich damit abgefunden”, sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbands der Privaten Bausparkassen, Christian König. “Das ist gesellschaftspolitisch ein Alarmsignal.” Die Abkehr vom Eigentumswunsch sei ein stiller Rückzug aus einer wichtigen Säule der privaten Daseinsvorsorge.
Statt für Immobilien sparen die Menschen der Umfrage zufolge zunehmend für Altersvorsorge (60 Prozent) und Konsum (44 Prozent). Kapitalanlage liegt mit 34 Prozent auf Platz drei – während Wohneigentum auf Platz vier zurückfällt.
(Bericht von Rene Wagner, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)