(Durchgehend neu)
– von Max Hunder und Andreas Rinke
Kiew/Washington (Reuters) – Bundeskanzler Friedrich Merz ist am Montagmorgen nach Washington aufgebrochen, wo er an der Seite anderer europäischer Spitzenpolitiker mit US-Präsident Donald Trump über das weitere Vorgehen im Ukraine-Krieg beraten will.
In der US-Hauptstadt erwartet wird auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Gegenstand des Treffens ist ein möglicher Friedensplan infolge des Gipfels von Trump mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am vergangenen Freitag in Alaska. In diesem Zusammenhang geht es auch um Sicherheitsgarantien für die Ukraine und russische Forderungen nach Gebietsabtretungen. In Europa entstand nach dem Treffen die Befürchtung, Trump könnte Putin für ein Friedensabkommen zu große Zugeständnisse machen.
Neben Merz nehmen die Staats- und Regierungschefs von Großbritannien, Frankreich, Italien und Finnland sowie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Nato-Generalsekretär Mark Rutte an den Beratungen in Washington teil. Trump werde Selenskyj zunächst um 13.15 Uhr Ortszeit (19.15 Uhr MESZ) im Oval Office empfangen, teilte das Weiße Haus mit. Ein gemeinsames Treffen mit den europäischen Politikern sei für 15.00 Uhr (21.00 Uhr MESZ) im East Room des Weißen Hauses geplant. Trump hatte nach einem Treffen mit Putin am Freitag erklärt, es müsse eine Einigung zur Beendigung des mittlerweile seit dreieinhalb Jahren andauernden russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine erzielt werden.
“Der ukrainische Präsident Selenskyj kann den Krieg mit Russland fast sofort beenden, wenn er will, oder er kann weiterkämpfen”, schrieb Trump auf seiner Online-Plattform Truth Social. Selenskyj hat die von Putin vorgeschlagenen Grundzüge eines Abkommens jedoch bereits weitgehend zurückgewiesen. Dazu gehört die Forderung, dass die Ukraine den Rest der östlichen Region Donezk aufgibt, die großteils von Russland besetzt ist. “Wir brauchen echte Verhandlungen, was bedeutet, dass wir dort anfangen können, wo die Frontlinie jetzt ist”, sagte Selenskyj am Sonntag in Brüssel. Er fügte hinzu, die Verfassung seines Landes mache es ihm unmöglich, Territorium abzugeben.
“WICHTIG, DASS DIE EUROPÄER DABEI SIND”
Die europäischen Staats- und Regierungschefs wollen Selenskyj in Washington den Rücken stärken und verhindern, dass es zwischen Trump und dem ukrainischen Präsidenten erneut zu einem Eklat wie im Februar im Weißen Haus kommen könnte. “Es ist wichtig, dass die Europäer dabei sind: Trump respektiert sie, in ihrer Gegenwart verhält er sich anders”, sagte Olexander Mereschko, ein Abgeordneter von Selenskyjs Regierungspartei, der Nachrichtenagentur Reuters. US-Außenminister Marco Rubio wies die Darstellung zurück, die Europäer kämen nach Washington, um Selenskyj zu schützen. “Sie kommen nicht hierher, um zu verhindern, dass Selenskyj schikaniert wird”, sagte er dem Sender CBS. “Wir haben sie eingeladen.”
Selenskyj schrieb auf dem Kurznachrichtendienst Telegram, sein Ziel sei, Russland gemeinsam mit den USA und Europa zu einem Frieden zu bewegen. “Ich hoffe, dass unsere gemeinsame Stärke mit Amerika und mit unseren europäischen Freunden Russland zu einem echten Frieden zwingen wird”, schrieb er. Er sei dem US-Präsidenten für die Einladung dankbar. “Wir alle wollen diesen Krieg gleichermaßen schnell und verlässlich beenden.”
Bundesaußenminister Johann Wadephul mahnte einen stärkeren Druck auf Russland an, um die Führung in Moskau zu Zugeständnissen für einen gerechten und dauerhaften Frieden zu bewegen. Dazu gehöre auch mehr Hilfe für die Ukraine, sagte Wadephul bei einer Pressekonferenz in Tokio. Zentral seien zudem belastbare Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Das Land müsse nach einem Waffenstillstand und einem Friedensabkommen in der Lage sein, sich wirksam zu verteidigen. Selenskyj fordert diesbezüglich eine Beistandsgarantie des Westens nach dem Vorbild von Artikel 5 des Nato-Vertrags.
Russland knüpft seine Zustimmung zu Sicherheitsgarantien für die Ukraine an glaubwürdige Zusicherungen für die eigene Sicherheit. Dies erklärte der russische Gesandte bei den internationalen Organisationen in Wien, Michail Uljanow, am frühen Montag auf der Plattform X. Russland stimme der Forderung vieler EU-Staaten nach Garantien für die Ukraine zu, habe aber das gleiche Recht, auch für sich wirksame Sicherheitsgarantien zu erwarten.
ZWEIJÄHRIGER IN CHARKIW BEI LUFTANGRIFF GETÖTET
In der Nacht zum Montag kam es nach ukrainischen Angaben erneut zu massiven russischen Luftangriffen. Insgesamt habe das russische Militär vier Raketen und 140 Drohnen abgefeuert, teilte die ukrainische Luftwaffe über den Kurznachrichtendienst Telegram mit. 88 Drohnen seien abgeschossen worden. An 25 Orten in sechs ukrainischen Regionen seien Einschläge verzeichnet worden.
Bei einem russischen Luftangriff auf ein Wohngebiet in der nordostukrainischen Stadt Charkiw wurden in der Nacht zum Montag nach Angaben der örtlichen Behörden drei Menschen getötet, darunter ein zweijähriger Junge. 17 weitere Menschen wurden demnach verletzt. Vor dem Drohnenangriff war das Wohngebiet den Angaben zufolge auch von einer ballistischen Rakete getroffen worden. Unter den Verletzten sind laut Bürgermeister Ihor Terechow sechs Kinder im Alter von sechs bis 17 Jahren. Auch aus der nördlichen Nachbarregion Sumy wurden russische Angriffe gemeldet. Dabei wurden den Behörden zufolge zwei Menschen verletzt. Mindestens ein Dutzend Häuser und eine Bildungseinrichtung seien beschädigt worden.
Bei einem russischen Drohnenangriff in der südukrainischen Region Odessa brach nach Angaben der Behörden ein Großbrand in einer Anlage der Kraftstoff- und Energieinfrastruktur aus. Verletzte habe es nach vorläufigen Erkenntnissen nicht gegeben, erklärte der staatliche ukrainische Rettungsdienst auf dem Kurznachrichtendienst Telegram weiter.
(Bearbeitet von Alexander Ratz; Redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)