Zweiter Rauswurf in einem Jahr – Nestle-Chefwechsel verschreckt Anleger

Zürich (Reuters) – Der zweite abrupte Chefwechsel bei Nestle innerhalb nur eines Jahres stürzt den Schweizer Nahrungsmittelriesen in Turbulenzen.

Der bereits kriselnde Kit-Kat- und Maggi-Hersteller entließ Konzernchef Laurent Freixe, weil er eine romantische Beziehung zu einer ihm direkt unterstellten Mitarbeiterin nicht offengelegt habe. Dies sei ein Verstoß gegen den Verhaltenskodex des Unternehmens, erklärte Nestle. Investoren und Analysten sind besorgt. “Der Druck auf den Vorstand, das Blatt zu wenden, ist groß”, erklärte Ingo Speich, Nachhaltigkeitschef der Sparkassen-Fondsgesellschaft Deka Investment. Im frühen Handel sackten die Nestle-Aktien um mehr als zwei Prozent ab.

Mit unmittelbarer Wirkung übernimmt Philipp Navratil, der bisher das Geschäft mit dem Konzernbereich Nespresso leitete und in der Konzernleitung sitzt, das Steuer. “Dies war eine notwendige Entscheidung”, erklärte Verwaltungsratspräsident Paul Bulcke am Montagabend.

Ein erster Verdacht einer möglichen Beziehung zwischen Freixe und einer direkten Untergebenen sei im Frühjahr über eine interne Hotline des Unternehmens aufgekommen, erläuterte ein Unternehmenssprecher. Der Verwaltungsrat habe daraufhin eine Untersuchung eingeleitet, die jedoch ergebnislos verlaufen sei. Da die Bedenken jedoch anhielten, habe das Unternehmen eine zweite Untersuchung gestartet, die von Verwaltungsratspräsident Bulcke und dem Verwaltungsratsmitglied Pablo Isla überwacht und von einer externen Firma unterstützt worden sei. Diese habe die Beziehung bestätigt. Freixe habe die Beziehung gegenüber dem Verwaltungsrat zunächst bestritten, fügte der Sprecher hinzu. Freixe, der seit 39 Jahren für den Konzern arbeitet, werde keine Abfindung erhalten.

“MARKT HAT FREIXE NICHT BESONDERS GEMOCHT”

Der erneute Chefwechsel kommt zur Unzeit für den Konzern. Freixes Vorgänger Mark Schneider musste das Unternehmen verlassen, nachdem Nestle Ziele verfehlt und an Rückhalt bei Investoren und Mitarbeitern verloren hatte. Anleger sind auch mit Bulcke unzufrieden, der 2026 dem ehemaligen Inditex-Manager Pablo Isla Platz machen wird. Der Firmenveteran Freixe hätte Nestle eigentlich in ruhigere Gewässer steuern und das Wachstum wieder ankurbeln sollen. Die Investoren überzeugte er damit noch nicht richtig. Mit rund 75 Franken notiert die Aktie weit unter dem Höchststand von knapp 130 Franken Anfang 2022. Im gleichen Zeitraum haben die Erzrivalen Unilever und Danone deutlich zugelegt.

“Der Markt hat Freixe nicht besonders gemocht und die Umstrukturierungsziele wurden ebenfalls auf die lange Bank geschoben”, kommentierte Maurizio Porfiri, Anlagechef von Maverix Securities, den Wechsel an der Nestle-Spitze. Nun komme es zu einem weiteren Neustart. “Es ist an der Zeit, dass bei der Führung des Weltkonzerns wieder mehr Stabilität einkehrt.” Die Führungswechsel seien für Nestlé von historischer Tragweite, erklärte Speich. “Nestle muss sich auf die dringend notwendige Umstrukturierung konzentrieren.”

Navratil, der seine Karriere bei Nestle 2001 in der internen Revision begann, will beim Firmenumbau aufs Tempo drücken. “Ich freue mich darauf, mit der gesamten Unternehmensführung und in naher Abstimmung mit dem Verwaltungsrat, dem Präsidenten Paul Bulcke und dem designierten Präsidenten Pablo Isla daran zu arbeiten, die Umsetzung unserer Strategie zu beschleunigen und unseren Wertschöpfungsplan intensiv voranzutreiben”, erklärte der 1976 geborene Manager. Unter der Leitung des schweizerisch-österreichischen Doppelstaatlers will der Konzern an der bisherigen Strategie und auch an den Finanzzielen festhalten.

Die JPMorgan-Analysten reagierten kritisch. “Wir sind enttäuscht, dass der neue CEO derzeit gezwungen ist, die Strategie seines Vorgängers fortzusetzen, obwohl der Markt angesichts der historisch niedrigen Aktienbewertung von Nestlé an deren Erfolg zweifelt.” Mit dem erneuten Wechsel dürfte die Frage nach der mittelfristigen Ausrichtung des Unternehmens weiter schwelen, bis mehr über die Pläne von Navratil bekannt werde.

Ein Top-20-Aktionär sieht bei der Strategie keinen größeren Handlungsbedarf. “Man braucht jetzt einen, der die Probleme richtig angeht und die Kosten rausnimmt”, erklärte er. “Es gibt zu viele Ebenen, zu viele Chefs, zu viele Regional Heads, zu viele Product Heads. Es braucht jemanden, der die Organisation vereinfacht, die Prioritäten noch stärker setzt und vor allem den Headcount reduziert.”

(Bericht von Oliver Hirt und John Revill, redigiert von Philipp Krach. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)

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