Berlin (Reuters) – Aus der deutschen Industrie kommen zu Beginn der zweiten Jahreshälfte widersprüchliche Konjunktursignale: Während die Exporte im Juli wegen der US-Zölle und der schwachen China-Nachfrage überraschend schrumpften, zog die Produktion unerwartet deutlich an.
Die Ausfuhren fielen um 0,6 Prozent im Vergleich zum Vormonat auf 130,2 Milliarden Euro, wie das Statistische Bundesamt am Montag mitteilte. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten dagegen ein Mini-Plus von 0,1 Prozent erwartet. Im Juni hatte es noch zu einem Wachstum von 1,1 Prozent gereicht. Industrie, Bau und Energieversorger stellten im Juli zusammen 1,3 Prozent mehr her als im Vormonat. Hier hatten Analysten nur mit einem Plus von 1,0 Prozent gerechnet. Besonders die Maschinen- und Autobauer sowie die Pharmaunternehmen fuhren ihre Erzeugung hoch.
Dazu kommt: Im Juni ist die Produktion zwar mit revidiert 0,1 Prozent das dritte Mal in Folge zurückgegangen, doch wurde das ursprüngliche Ergebnis von minus 1,9 Prozent stark nach oben korrigiert. “Statt eines Einbruchs zeigt sich jetzt für Juni faktisch eine Stagnation”, sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. “Die Anzeichen für eine Trendwende nach oben mehren sich.” Kräftig anziehen dürfte das Bruttoinlandsprodukt aber erst im kommenden Jahr, wenn die Bundesregierung viel mehr Geld ausgeben werde und die EZB-Zinssenkungen ihre volle Wirkung entfalteten.
Das liegt auch an der Exportflaute, bedingt auch durch die Handelspolitik von US-Präsident Donald Trump. Die meisten Ausfuhren gingen im Juli zwar erneut in die Vereinigten Staaten. Dorthin wurden aber nur noch deutsche Waren im Wert von 11,1 Milliarden Euro verkauft und damit 7,9 Prozent weniger als im Vormonat. “Das ist der vierte monatliche Rückgang in Folge und der niedrigste Wert seit Dezember 2021”, erklärten die Statistiker. Wegen höherer Zölle sind viele Exporte vorgezogen worden, nun fehlt diese Nachfrage. Seit August gelten für die meisten EU-Exporte in die USA Zölle von 15 Prozent. Das macht auch deutsche Waren in der weltgrößten Volkswirtschaft teurer. “Trotz des Abkommens mit der EU könnten neue zusätzliche Zölle auf die deutsche Industrie zukommen”, warnte der Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank, Cyrus de la Rubia. “Das dürfte die Nachfrage nach deutschen Produkten dämpfen, zumal sich die US-Konjunktur offensichtlich abschwächt.”
“CHINA-ANTEIL SINKT WEITER”
Auch das deutsche China-Geschäft schrumpfte zu Beginn der zweiten Jahreshälfte. Die Ausfuhren in die Volksrepublik nahmen um 7,3 Prozent auf 6,4 Milliarden Euro ab. Die zweitgrößte Volkswirtschaft stellt inzwischen viele Waren selbst her und macht damit Deutschland zunehmend Konkurrenz – etwa bei Elektroautos. “Der China-Anteil an den Exporten sinkt weiter und liegt nun bei fünf Prozent, nachdem er 2020 noch acht Prozent betragen hat”, sagte der Chefvolkswirt der ING-Bank, Carsten Brzeski.
Die Ausfuhren in die EU wuchsen dagegen im Juli um 2,5 Prozent auf 74,8 Milliarden Euro. “Offensichtlich regen die Zinssenkungen der EZB mehr und mehr die Nachfrage nach deutschen Industriegütern an”, sagte Commerzbank-Ökonom Ralph Solveen mit Blick auf die Europäische Zentralbank (EZB). “Dies macht Hoffnung, dass eine stärkere Nachfrage aus dem Euroraum die negative Wirkung der US-Zölle zumindest teilweise ausgleichen wird.”
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) sieht das ähnlich. “Der EU-Binnenmarkt gewinnt an Bedeutung”, sagte DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier. “ Ein gut funktionierender gemeinsamer Wirtschaftsraum ist damit eine Chance für die deutsche Exportwirtschaft.” Daher sollte die Stärkung des EU-Binnenmarktes und der Abbau von hausgemachten bürokratischen Hürden oberste Priorität haben. Der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) rät dazu, neue Märkte zu erschließen und Absatzwege weiter zu diversifizieren. “Sonst werden wir im globalen Wettbewerb weiter an Boden verlieren”, sagte BGA-Präsident Dirk Jandura.
“DYNAMIK VORERST NICHT IN SICHT”
Die deutschen Importe nahmen im Juli ab, wenn auch nur um 0,1 Prozent zum Vormonat auf 115,4 Milliarden Euro. Analysten hatten hier sogar einen Rückgang von 1,0 Prozent vorausgesagt. Zunehmende Einfuhren können ein Signal für eine anziehende Binnennachfrage sein.
Die Chancen auf einen Exportaufschwung stehen aktuell nicht besonders gut: Im Juli erhielt die Industrie 3,1 Prozent weniger Aufträge aus dem Ausland. Zudem reagierten die Exporteure wenig begeistert auf das Zollabkommen der EU mit den USA. Das Barometer für deren Exporterwartungen sank im August tiefer in den negativen Bereich, wie das Ifo-Institut ermittelte. “In der Exportwirtschaft macht sich Ernüchterung breit”, sagte der Leiter der Ifo-Umfragen, Klaus Wohlrabe.
(Bericht von Rene Wagner; Redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)