Ukraine – Russland verstärkt Angriffe im Osten und Süden

– von Natalia Zinets

Kiew (Reuters) – Mehr als zwei Monate nach Kriegsbeginn verstärkt Russland nach ukrainischen Angaben seine Angriffe auf den Osten und Süden des Landes.

Das russische Militär beschleunige seine Offensiveinsätze, teilte das ukrainische Militärkommando zur Lage an der Hauptfront im Osten am Donnerstag mit. Es gebe aus fast allen Richtungen intensiven Beschuss. Drohungen von Russlands Präsident Wladimir Putin mit einem Gegenschlag, sollten sich ausländische Kräfte in den Krieg einmischen, wiesen westliche Politiker zurück. Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace deutete dies als Zeichen der Verzweiflung darüber, dass Russland seine Kriegsziele bislang nicht erreicht habe.

Nach ukrainischen Angaben erfolgte der Hauptangriff Russlands in der Nähe der Städte Sloboschanske und Donez entlang einer strategisch wichtigen Straße, die die zweitgrößte ukrainische Stadt Charkiw mit der von Russland besetzten Stadt Isjum verbindet. Der Gouverneur der Region Charkiw erklärte, dass die russischen Streitkräfte ihre Angriffe von Isjum aus verstärkten, die ukrainischen Truppen aber ihre Stellungen hielten. Russland warf der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) vor, die Geheimdienste der Ukraine und des Westens mit Informationen über Stellungen russischer Truppen und prorussischer Separatisten zu versorgen.

Die Ukraine berichtete zudem von schweren Explosionen in der Nacht in der südlichen Stadt Cherson – der einzigen Regionalhauptstadt, die Russland seit Beginn der Invasion am 24. Februar eingenommen hat. Russische Truppen würden die gesamte umliegende Region beschießen und griffen in Richtung Mykolajiw und Krywyj Rih an, der Heimatstadt von Präsident Wolodymyr Selenskyj im Süden des Landes. Russische Staatsmedien zitierten den Vertreter einer selbsternannten prorussischen “militärisch-zivilen Kommission” in Cherson mit der Aussage, das Gebiet werde ab dem 1. Mai die russische Währung Rubel verwenden. Die Ukraine wirft der Regierung in Moskau vor, im besetzten Süden ein manipuliertes Unabhängigkeitsreferendum zu planen und damit eine neue Separatisten-Region zu schaffen nach dem Vorbild der selbst ernannten, prorussischen Volksrepubliken Donezk und Luhansk im Osten.

Russland meldete den Abschuss eines ukrainischen Kampfjets vom Typ Su-24 in der Nähe des ostukrainischen Luhansk. Das russische Militär habe zudem vier militärische Ziele in der Ost-Ukraine mit Hochpräzisionsraketen getroffen, teilte das Verteidigungsministerium mit. Dabei seien zwei Raketen- und Munitionslager nahe der Ortschaften Barwinkowe und Iwaniwka zerstört worden. Seit der russischen Invasion Ende Februar sind laut der Polizei von Kiew im Großraum der ukrainischen Hauptstadt 1150 getötete Zivilisten geborgen worden. Zwischen 50 und 70 Prozent der Leichen zeigten Wunden, die auf Schüsse aus Kleinwaffen hindeuteten, sagte der Polizeichef der Region Kiew, Andrij Nebytow, in einer Twitter-Videobotschaft.

“ICH WILL, DASS DAS JEDER WEISS”

Putin sagte vor lokalen Abgeordneten in Sankt Petersburg: “Wenn jemand von Außen beabsichtigt, in die laufenden Ereignisse zu intervenieren und Russland damit für uns nicht akzeptabel strategisch zu bedrohen, sollten sie wissen, dass unser Gegenschlag blitzschnell sein wird.” Russland verfüge über alle notwendigen Instrumente dafür, “über Dinge, die sich niemand rühmen kann, derzeit zu haben”, sagte Putin. “Und wir werden nicht nur damit prahlen, wir werden sie auch nutzen falls erforderlich, und ich will, dass jeder das weiß.” Putins Sprecher Dmitri Peskow warnte den Westen erneut, die Ukraine mit schweren Waffen zu versorgen. Das würde die Sicherheit auf dem europäischen Kontinent bedrohen.

Die Regierung in Moskau wirft westlichen Staaten vor, die Ukraine offen zu Angriffen auf Russland zu ermutigen. Russland hatte am Mittwoch eine Reihe von Explosionen und ein Feuer in einem Munitionsdepot im Süden des Landes gemeldet. Großbritanniens Verteidigungsminister Wallace sagte, Putins Äußerungen seien ein Zeichen “fast schon von Verzweiflung”, die mit leeren Drohungen noch geschürt werde. Russland sei bei fast allen Zielen gescheitert. Jetzt versuche Putin, die Geländegewinne im Osten zu konsolidieren. Es sei wie ein “krebsartiges Geschwür”, das sich in der Region einnisten wolle.

Der Bundestag in Berlin beschloss am Donnerstag mit großer Mehrheit den Antrag von Koalition und Union zum Ukraine-Krieg, in dem unter anderem die Lieferung von schweren Waffen gefordert wird. Für den Antrag mit dem Titel “Frieden und Freiheit in Europa verteidigen – Umfassende Unterstützung für die Ukraine” stimmten 586 Abgeordnete, 100 votierten dagegen, sieben enthielten sich. In der Debatte hatten die Fraktionen von Linkspartei und AfD angekündigt, den Antrag abzulehnen.

(Weitere Reuters-Büros; geschrieben von Christian Götz und Alexander Ratz; redigiert von Hans Seidenstücker; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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