UN-Chef warnt vor möglicher Annexion des Westjordanlandes durch Israel

Davos (Reuters) – UN-Generalsekretär Antonio Guterres zeigt sich besorgt, dass Israel angesichts des Erfolges im Kampf gegen die Hamas im Gazastreifen das besetzte Westjordanland annektieren könnte.

“Es besteht die Möglichkeit, dass Israel sich durch die militärischen Erfolge ermutigt fühlt und denkt, dies sei der richtige Zeitpunkt für die Annexion des Westjordanlands und den Verbleib des Gazastreifens in einer Art Schwebezustand”, sagte Guterres am Mittwoch in Davos. “Das wäre ein vollständiger Verstoß gegen das Völkerrecht … und würde bedeuten, dass es im Nahen Osten niemals Frieden geben wird.”

Genährt wird die Befürchtung von einem größer angelegten Einsatz israelischer Sicherheitskräfte in der Extremistenhochburg Dschenin im Westjordanland, bei dem am Dienstag den örtlichen Behörden zufolge mindestens acht Palästinenser getötet und 35 verletzt wurden. Das israelische Militär erklärte, Armee, Polizei und Geheimdienste hätten einen Anti-Terror-Einsatz in der Stadt gestartet. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sprach von einem umfangreichen Militäreinsatz und dem Beginn einer neuen Offensive gegen mit dem Iran verbündete Extremisten-Gruppen.

Guterres äußerte auf dem Weltwirtschaftsforum die Hoffnung, dass die seit Sonntag bestehende und zunächst auf sechs Wochen befristete Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas Bestand hat. Es sei bereits Hilfe für die Bevölkerung in den Gazastreifen gebracht worden. Von einem dauerhaften Waffenstillstand dort würden beide Seiten profitieren, sagte der Generalsekretär der Vereinten Nationen. Ein Waffenstillstand könne den Weg zu Verhandlungen über eine Zwei-Staaten-Lösung ebnen.

Die israelische Regierung, die so weit rechts steht wie keine vor ihr, lehnt eine Zwei-Staaten-Lösung und damit einen eigenen Palästinenserstaat im Gazastreifen und Westjordanland jedoch strikt ab. Sie treibt stattdessen auch mitten im Gaza-Krieg den Ausbau jüdischer Siedlungen im Westjordanland voran. Diese Siedlungen werden von israelischen Sicherheitskräften geschützt, von den UN aber als illegal und Verstoß gegen das Völkerrecht gewertet. Seit Beginn des Krieges im Gazastreifen im Oktober 2023 hat auch die Gewalt im Westjordanland massiv zugenommen – sowohl vonseiten radikaler Siedler als auch militanter Palästinenser.

Einen Plan für die Zukunft des weitgehend zerstörten Gazastreifens nach Beendigung des Krieges gegen die dort herrschende Hamas hat die israelische Regierung bislang nicht vorgelegt. Netanjahu besteht darauf, dass die radikal-islamische Palästinenser-Organisation zerstört wird und künftig keine Rolle im Gazastreifen spielt – ebenso wenig wie die von der gemäßigten Fatah kontrollierte Palästinenserbehörde im Westjordanland unter ihrer gegenwärtigen Führung.

(Bericht von: Bart Meijer, geschrieben von Sabine Ehrhardt, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)

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