Ratingagentur: Künftige Bundesregierung sollte mehr investieren

Berlin (Reuters) – Eine niedrige Staatsverschuldung allein sichert der europäischen Ratingagentur Scope zufolge Deutschlands Bonitäts-Bestnote nicht auf Dauer – auch mehr Investitionen gegen die Ursachen der Wachstumsflaute hält sie für nötig.

“Damit Deutschland sein AAA-Rating langfristig sichern kann, ist es wichtig, die strukturellen Schwächen zu überwinden”, sagte Scope-Direktor Eiko Sievert am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters. Die relativ niedrige Staatsverschuldung von 63 Prozent des Bruttoinlandprodukts spreche zwar für die hohe Bonität Deutschlands – vor allem im Vergleich mit den anderen großen europäischen Volkswirtschaften wie Italien (137 Prozent), Frankreich (113 Prozent), Spanien (103 Prozent) und Großbritannien (101 Prozent). “Dieser Vergleich rechtfertigt jedoch noch kein AAA-Rating”, betonte Sievert. Die anderen von Scope mit der höchsten Note AAA bewerteten Staaten – Luxemburg, Niederlande, Dänemark, Schweden, Norwegen und die Schweiz – würden eine noch deutlich geringere Verschuldung von durchschnittlich 36 Prozent aufweisen. “Innerhalb der AAA-Gruppe hat Deutschland sogar die höchste Staatsverschuldung”, sagte der Experte.

Die anhaltende Konjunkturflaute stelle noch keine unmittelbare Bedrohung für das begehrte “Tiple-A” dar, “selbst wenn die wirtschaftliche Stagnation in 2025 anhält”. “Der Druck auf das Rating wird aber zunehmen, sollte Deutschland nicht in der Lage sein, die Ursachen der Wachstumsschwäche anzugehen”, warnte Sievert. Dazu gehörten hohe Energiepreise, die die Produktions- und Exportstärke schwächten, sowie fehlende Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Digitalisierung in Verbindung mit unzureichenden Arbeitsmarktreformen, die die internationale Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigten. “Hinzu kommen fehlende Rentenreformen, die dazu führen, dass ein größerer Teil des Haushalts für die Finanzierung von Renten verwendet werden muss”, so der Bonitätswächter.

Ein dogmatisches Beharren auf der Schuldenbremse angesichts des großen Investitionsstaus ziehe nicht unbedingt eine Herabstufung nach sich. “Die Schuldenbremse ist ein wichtiger Teil des deutschen finanzpolitischen Rahmens, der deutlich stärker ist als der anderer großer EU-Staaten”, sagte Sievert. Das Ergebnis lasse sich deutlich an der geringeren Verschuldung Deutschlands ablesen. “Eine Reform der Schuldenbremse, die mehr wachstumsfördernde öffentliche Investitionen ermöglichen würde, wäre jedoch sicherlich positiv”, fügte der Scope-Direktor hinzu. Mindestens ebenso wichtig seien der Abbau von Bürokratie und politische Reformen, die dem Privatsektor Investitionen und Innovationen ermöglichen. Herausforderungen wie der digitale und der grüne Wandel könnten ohne große Beiträge des Privatsektors nicht gelingen.

Der künftigen Bundesregierung rät Scope zu mehr Investitionen. “Wenn Deutschland den allmählichen Rückgang seiner Wettbewerbsfähigkeit aufhalten will, dann sollte sich die nächste deutsche Regierung auf eine deutliche Steigerung der Investitionen konzentrieren”, sagte Sievert. Andere große Wirtschaftszentren wie die USA und China kämen mit solchen Investitionsanstrengungen voran. “Investitionen, die die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen, sind für den langfristigen Erhalt von Deutschlands AAA-Bonitätseinstufung wichtig”, so das Fazit von Sievert.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sieht das ähnlich. “Um Deutschland wieder in die Spur zu bekommen, muss die Regierung endlich groß angelegte strukturelle Reformen und Investitionen angehen”, sagte dessen Präsident Peter Leibinger in Berlin. Die finanziellen Spielräume seien begrenzt, deshalb müssten im Haushalt klare Prioritäten gesetzt werden. “Was Wachstum stärkt, muss Priorität bekommen”, forderte der Industriepräsident. Öffentliche Investitionen in eine moderne Infrastruktur, in Transformation und die Widerstandskraft unserer Volkswirtschaft seien dringend erforderlich. 

(Bericht von Rene Wagner, redigiert von Sabine Ehrhardt. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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