München (Reuters) – Im Strafprozess um die Pleite des Zahlungsabwicklers Wirecard steuert das Landgericht München auf ein hartes Urteil gegen den ehemaligen Vorstandschef Markus Braun zu.
Die Staatsanwaltschaft billigte am Mittwoch die vom Gericht vorgeschlagene Prozessverkürzung, weil nach bisheriger Beweislage selbst bei einer Konzentration auf einzelne Vorwürfe eine “angemessene und hohe Strafe verhängt werden” könne. Brauns Verteidigerin Theres Kraußlach protestierte und sprach von einer “Vorverurteilung”. Sie forderte eine restlose Aufklärung, um Brauns Unschuld zu belegen. “Aus unserer Sicht gibt’s überhaupt nichts einzustellen, weil Herr Dr. Braun in allen Punkten freizusprechen ist.”
Staatsanwalt Matthias Bühring verwies darauf, dass sich der Strafprozess seit Dezember 2022 hinzieht und Braun bereits seit viereinhalb Jahren ohne Urteil in Untersuchungshaft sitzt. “Es kommt darauf an, dass eine der Tat und der Schuld angemessene Strafe ausgesprochen wird und dass eine Entscheidung auch in angemessener Frist erfolgt”, sagte Bühring. Die von Richter Markus Födisch angeregte Halbierung der Anklage auf zehn Punkte sei deswegen vertretbar. Die Staatsanwaltschaft wirft Braun und zwei weiteren Angeklagten Bilanzfälschung, Betrug, Marktmanipulation und Untreue vor.
Selbst mit der geplanten Verkürzung könnte der Prozess noch Monate dauern: Verfahrensbeteiligte rechnen nun mit einem Urteil Ende 2025 oder Anfang 2026. Ein Gerichtssprecher wollte sich am Mittwoch nicht festlegen. Födisch hatte angeregt, mehreren Vorwürfen nicht weiter nachzugehen, um den Prozess nicht unnötig in die Länge zu ziehen. Hintergrund ist eine im Strafgesetzbuch festgelegte Obergrenze. Demnach ist bei mehreren Taten die Summe der Strafen auf 15 Jahre gedeckelt. Deshalb reiche es angesichts der Beweislage, sich auf die mutmaßlich schwersten Verbrechen zu beschränken, hatte er argumentiert – und damit durchblicken lassen, dass Braun mit zehn bis 15 Jahren ohnehin im Bereich der Höchststrafe landen dürfte.
Der Dax-Konzern kollabierte im Juni 2020, als aufflog, dass auf Treuhandkonten in Asien 1,9 Milliarden Euro fehlten. Laut Staatsanwaltschaft sollen Braun und die beiden Mitangeklagten milliardenschwere Geschäfte erfunden haben. Braun hingegen sieht sich als Opfer anderer Wirecard-Manager, die ihn hintergangen hätten.
KREDITBETRUG JETZT IM FOKUS
Maßgeblich soll nun der Vorwurf sein, die Angeklagten hätten Kreditgeber unter Führung der Commerzbank mit falschen Zahlen betrogen. Unter den Konsortialbanken waren auch Deutsche Bank, LBBW, DZ Bank sowie die niederländischen Häuser ING und ABN Amro. Allein bei dieser mutmaßlich schwersten Straftat sei ein Schaden von mindestens 522 Millionen Euro entstanden, sagte der Gutachter Wilhelm Hauser am Mittwoch.
Im Insolvenzverfahren um Wirecard hatten Geschädigte nach Angaben des Oberlandesgerichts München vom vergangenen Jahr Ansprüche über 15,4 Milliarden Euro angemeldet, denen nur ein Bruchteil davon als Vermögenswerte gegenübersteht. Doch diese Summe ist für das Landgericht ohne Belang. Im Strafprozess ist für eine hieb- und stichfeste Schadensermittlung für konkrete Zeitpunkte wichtig, weil sich die Richter bei der Verurteilung darauf stützen müssen. Der Bundesgerichtshof hatte hier einen Richtwert genannt: Schon bei einem Betrugsschaden von 50.000 Euro kann eine zehnjährige Freiheitsstrafe verhängt werden.
(Bericht von Jörn Poltz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)