Wien (Reuters) – Nach gescheiterten Koalitionsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP will Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen zunächst mit allen Parteien die neue Lage erörtern.
Das Staatsoberhaupt appellierte an die Kompromissbereitschaft der verschiedenen politischen Lager, um eine Lösung zu finden. “Der Kompromiss in Österreich ist ein Schatz, eine Art Kulturgut, mit dem wir immer gut gefahren sind”, sagte Van der Bellen am Mittwochabend in Wien. Gemeinsam tragfähige Lösungen zu finden und auf andere zuzugehen, sei in der Vergangenheit immer wieder ein Erfolgsrezept des Landes gewesen.
Konkret gebe es nun vier Optionen, wie es weiter gehen könne, sagte Van der Bellen, ohne dies zu gewichten oder zu bewerten. Er sprach von Neuwahlen frühestens in einigen Monaten, einer Minderheitsregierung, einer Expertenregierung oder eben doch einer Koalition der im Parlament vertretenen Parteien. “Ich werde also in den kommenden Tagen Gespräche mit Politikerinnen und Politikern führen, um auszuloten, welche der vier genannten Optionen erfolgreich sein können – so schnell wie möglich, so lang wie nötig.” Denn es gehe darum, endlich Kompromisse zu finden. “Ein Verhandlungsprozess ist kein Wettkampf, in dem es nur um Gewinner und Verlierer geht”, betonte der ehemalige Grünen-Politiker. “Es geht nicht um die Menschen oder die Parteien, die verhandeln – es geht um das Staatsganze.”
KICKL NICHT GENUG “IN ROLLE VON REGIERUNGSCHEF GEWECHSELT”
Das Problem sei, dass es keine eindeutig dominante Kraft im Parlament gebe. Und Parteien seien immer weniger bereit, Einigungen zu erzielen, kritisierte Van der Bellen. Die politische Landschaft polarisiere sich – nicht nur in Österreich – und werde unversöhnlicher. Aber die liberale Demokratie lebe vom Kompromiss und vom Ausgleich unterschiedlicher Interessen.
Zuvor waren die Gespräche zwischen der rechten FPÖ und der konservativen ÖVP geplatzt. Beide Parteien gaben der jeweils anderen Seite die Schuld dafür. Einer der Knackpunkte war, dass die Rechtspopulisten und die Konservativen jeweils das Finanz- und Innenministerium übernehmen wollten. ÖVP-Chef Christian Stocker sagte, die Verhandlungen seien letztlich an der Haltung von FPÖ-Chef Herbert Kickl gescheitert. Die FPÖ sei erster bei der Wahl geworden, “aber das rechtfertigt keinen Anspruch auf die gesamte Macht”. Der ÖVP-Chef fügte hinzu: “Leider ist Herbert Kickl aus der Rolle des Oppositionspolitikers nicht ausreichend in die Rolle eines Regierungschefs gewechselt.” Der FPÖ-Chef habe die Chance nicht genutzt, Kanzler zu werden. Die ÖVP hingegen sei weiter bereit, Verantwortung zu übernehmen.
FPÖ-CHEF: “ICH KOMM’ WIEDER, KEINE FRAGE”
Kickl warf der ÖVP vor, sie sei nicht zu entscheidenden Kompromissen bereit gewesen und habe auf zu vielen Schlüsselressorts gepocht. Kickl sagte, er habe dem Staatspräsidenten rasche Neuwahlen empfohlen. Dann dürften die Rechtspopulisten laut Umfragen ihren Vorsprung ausbauen. Er gehe aber davon aus, dass die anderen Parteien Wahlen und damit einen Stimmenzuwachs der Freiheitlichen mit aller Kraft verhindern wollten, sagte der FPÖ-Chef. Mittelfristig sollten die Österreicher bei der nächsten Wahl klare Verhältnisse schaffen – “damit sie dann doch noch kommen, die guten Jahre mit einem freiheitlichen Volkskanzler. Später, aber doch”, sagte Kickl. “Heute ist nicht aller Tage, ich komm’ wieder, keine Frage”, sagte er in Anlehnung an die Zeichentrickfigur Paulchen Panther.
Die FPÖ war aus den Parlamentswahlen im September als stärkste Kraft hervorgegangen. Allerdings wollte zunächst niemand mit ihr koalieren, so dass die zweitplatzierte ÖVP den Auftrag zur Bildung einer Regierung bekam. Nach geplatzten Koalitionsverhandlungen der Konservativen mit der sozialdemokratischen SPÖ und den liberalen Neos hatte Van der Bellen dann doch den FPÖ-Chef beauftragt, in Koalitionsgesprächen mit der ÖVP eine Regierungsbildung zu versuchen. Dies scheiterte nun. Damit wird Kickl nun doch nicht der erste rechte Kanzler Österreichs seit dem Kriegsende.
Inzwischen sind die Sozialdemokraten und Liberalen wieder bereit, neu mit der ÖVP über die Bildung einer Regierung zu verhandeln. SPÖ-Chef Babler erklärte, zum einen sei die SPÖ bereit, zusammen mit den anderen drei demokratischen Parteien – “außerhalb der FPÖ” – das weitere Vorgehen zu erörtern und Lösungen zu finden. Zudem habe er Van der Bellen mitgeteilt, “dass wir bereit sind, eine Regierung von anerkannten Persönlichkeiten zu stützen”.
Grünen-Chef Werner Kogler erklärte auf der Plattform X, das Scheitern des blau-schwarzen Regierungsprojekts sei eine Chance für Österreich. “Jetzt gibt es erneut die Möglichkeit, eine Regierung ohne Rechtsextreme zu bilden.”
(Bericht von François Murphy in Wien und Klaus Lauer in Berlin, redigiert von Birgit Mittwollen.)