– von Andreas Rinke
Brüssel (Reuters) – Bundeskanzler Olaf Scholz will nach dem Beispiel Deutschlands auch in der EU die Schuldengrenzen für Verteidigungsausgaben aufheben.
Wegen der internationalen Bedrohungslage schlug Scholz zum Auftakt des EU-Sondergipfels zur Ukraine und Sicherheit in Europa in Brüssel vor, dass die Verteidigungsausgaben der 27 EU-Staaten nicht mehr bei den europäischen Stabilitätsregeln angerechnet werden. “Wir müssen auch langfristig zur Veränderung des Regelwerks in Europa kommen, ganz entlang dessen, was wir in Deutschland gegenwärtig auch diskutieren”, sagte er. Wie etliche andere EU-Staats- und Regierungschefs begrüßte er die Vorschläge von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, wonach 800 Milliarden Euro an Ausgaben für die Sicherheit aktiviert werden sollten. Zuvor hatten sich in Deutschland Union und SPD grundsätzlich darauf geeinigt, Rüstungsausgaben von der nationalen Schuldenbremse auszunehmen.
Scholz lehnte allerdings erneut die Forderung einer Reihe von Staaten ab, auch eine gemeinsame Verschuldung über sogenannte defense bonds einzuführen. “Die Position Deutschlands in dieser Frage ist traditionell bekannt und wird sich nicht sehr ändern”, betonte er auch mit Blick auf den bevorstehenden Wechsel der Regierung. Scholz hatte sich mit CDU-Chef Friedrich Merz, seinem erwarteten Nachfolger, am Mittwoch über die Positionen auch für den EU-Sondergipfel abgestimmt. Merz nahm am Vormittag an dem Treffen der konservativen europäischen Parteienfamilien EVP in Brüssel teil, flog aber vor Beginn des EU-Sondergipfels zurück nach Berlin.
SELENSKYJ NIMMT AN EU-SONDERGIPFEL TEIL
EU-Ratspräsident Antonio Costa hatte die EU-Staats- und Regierungschefs zu einem Sondergipfel eingeladen, weil seit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump die Sorge über amerikanisch-russische Absprachen zulasten der Ukraine und Europas wächst. Deshalb wollen die Europäer der Ukraine ihre Unterstützung versichern. Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nahm an dem Treffen teil und betonte, wie wichtig die Hilfe sei. “Wir sind nicht alleine”, sagte er. Die USA hatten in den vergangenen Tagen die Militärhilfe für die Ukraine eingestellt und wollen auch keine Geheimdienstinformationen mehr liefern. Trump macht Druck auf Selenskyj, einer Friedenslösung mit Russland zuzustimmen und auf besetzte Gebiete zu verzichten. Die Europäer wollen der Ukraine dagegen auch weiter militärisch helfen.
Allerdings wird nicht erwartet, dass man sich auf dem EU-Gipfel darauf einigen kann, neue Zahlen für mehr Militärhilfe zu verkünden. Ein Grund ist der Widerstand der prorussischen Haltung der Ministerpräsidenten von Ungarn und der Slowakei. Hinter diesen verstecken sich nach Angaben eines EU-Diplomaten auch andere Staaten, weil sie selbst kein Geld für zusätzliche Hilfen an die Ukraine haben.
DEBATTE AUCH ÜBER EUROPÄISCHEN NUKLEARSCHUTZSCHIRM
Auf den Vorschlag von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vom Mittwochabend eine Ausweitung des Schutzschirms französischer Atomwaffen auf Verbündete zu prüfen, reagierten etliche Regierungen positiv. Der litauische Präsident Gitanes Nauseda sprach von einer “guten Idee”. “Wir brauchen die Unterstützung unserer Partner”, sagte er mit Hinweis auf die geographische Lage seines Landes.
Der Kanzler bremste dagegen etwas: Es sei wichtig, was man an nuklearer Teilhabe in Deutschland habe, betonte er in Anspielung auf die US-Atomwaffen in Deutschland. “Ich glaube, das soll nicht aufgegeben werden. (Das) ist die gemeinsame Auffassung aller zentralen Parteien in Deutschland”, fügte er mit Blick auf den anstehenden Regierungswechsel hinzu. Hintergrund ist die Sorge, dass die USA Europa den Schutz mit ihren Atomwaffen entziehen könnten und möglicherweise sogar aus der Nato austreten. Scholz bezeichnete es als vorrangige Aufgabe der kommenden Wochen, dies zu verhindern. CDU-Chef Merz hatte in den vergangenen Tagen mehrfach betont, dass man mit Frankreich und Großbritannien über deren Atomwaffen reden müsse.
EU-Ratspräsident Costa verwies darauf, dass die Themen der Ukraine-Hilfe und der europäischen Sicherheit eng miteinander verknüpft seien. Ungarns Ministerpräsident Orban räumte nach einem Gespräch mit Frankreichs Präsident Macron ein, dass es Differenzen in der Ukraine-Politik gebe, er aber auch für eine Stärkung der europäischen Verteidigung sei.
Europa sei stärker als Russland und in der Lage, es in jeder Art von Konflikt zu besiegen, sagte der polnische Ministerpräsident Donald Tusk. “Europa als Ganzes ist wirklich in der Lage, jede militärische, finanzielle und wirtschaftliche Konfrontation mit Russland zu gewinnen – wir sind einfach stärker.” Tusk fügte hinzu: “Wir müssen nur anfangen, daran zu glauben. Und heute scheint dies zu geschehen.” Mehrere Regierungschefs wie die lettische Ministerpräsidentin Evika Silina forderten schnelle Entscheidungen, auch wenn nicht alle EU-Staaten einverstanden sein sollten.
In der Debatte um Friedensverhandlungen und Sicherheitsgarantien für die Ukraine betonte Scholz, dass sich die Europäer darauf einstellen müssten, die ukrainische Armee auch in Friedenszeiten zu unterstützen. Dazu kämen dann Sicherheitsgarantien, sagte er. Voraussetzung für Gespräche über einen Waffenstillstand sei ein Stopp der russischen Angriffe auf die Ukraine. Frankreich und Großbritannien hatten nach Gesprächen mit Trump angeboten, nach einem Friedensschluss Truppen in die Ukraine zu entsenden. Etliche EU-Regierungen wie die deutsche oder italienische sehen dies aber kritisch.
(Mitarbeit: Krisztina Than, Bart Meijer, Alan Charlish; redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)