– von Andreas Rinke
Berlin (Reuters) – In nur 50 Tagen Amtszeit hat US-Präsident Donald Trump nicht nur die westliche Außenpolitik, sondern auch die amerikanische Wissenschaftswelt erschüttert – mit Folgen, die bis nach Europa reichen: In großem Maßstab wurden und werden Forschungsgelder gestrichen, vor allem in politisch von der Trump-Regierung abgelehnten Disziplinen.
Der Schock sitzt so tief, dass deutsche und europäische Institutionen überlegen, verzweifelte Wissenschaftler aus den USA anzuwerben.
In Deutschland gab es dazu im Februar bereits ein Treffen von Wissenschaftsminister Cem Özdemir mit den großen Wissenschaftsorganisationen, ein weiteres ist nach Angaben seines Sprechers für den 26. März geplant. “Wir müssen solidarisch sein und deutlich machen: Wenn Spitzenforscher in den USA keine Möglichkeiten mehr für sich sehen, frei dort zu forschen, sind sie in Deutschland willkommen”, hatte Özdemir schon Ende Februar gesagt. Am Montag telefonierte er mit seinem französischen Kollegen dazu.
Einige Universitäten in Frankreich reagieren schneller: Die Universität Aix-Marseille hat bereits am 7. März offiziell ein Programm mit 15 Millionen Euro mit dem Titel “Safe place for science” aufgelegt, um Wissenschaftler aus den USA anzulocken – offenbar mit Erfolg, weil sich nach eigenen Angaben bereits Dutzende Interessenten selbst von US-Top-Unis wie Yale gemeldet hätten.
SOGAR DIE US-GESUNDHEITSFORSCHUNG WIRD ZUSAMMENGESTRICHEN
Auslöser sind vor allem Anordnungen der neuen US-Administration, im Wissenschaftsbereich Forschungsförderung nach politisch unerwünschten Stichworten wie “gender” oder “diversity” zu durchsuchen – und zu streichen. Das macht auch Wissenschaftsexperten in Deutschland fassungslos. “Es sind viele Forschungsfelder betroffen, von denen man dachte, da gehen die Republikaner nicht ran – etwa die Gesundheitsforschung”, sagt etwa Patrick Cramer, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, der Nachrichtenagentur Reuters. Bei der Klimaforschung sei es klar gewesen, dass das ein unliebsames Feld für die Trump-Regierung sei. “Aber auch die Einschnitte des National Institutes of Health (NIH) bei der Gesundheitsforschung sind massiv – sogar in der Krebsforschung.”
Mittlerweile seien sogar die mRNA-Impfstoffe betroffen, die gerade auch im Kampf gegen Hautkrebs entwickelt werden. Der Kreuzzug gegen ungeliebte Forschung nimmt teilweise absurde Züge an. Mal verwechselt Trump “transgenetic” Forschung an Mäusen mit “transgender”, mal wird übersehen, dass sich hinter dem Begriff “diversity” auch Forschung zur Artenvielfalt versteckt. “Stark betroffen ist auch die Geschlechterforschung, die aber gerade für die Medizinforschung sehr wichtig ist”, kritisiert Cramer.
FORSCHER SUCHEN ALTERNATIVEN
Die Verunsicherung führt dazu, dass Wissenschaftler überlegen, das frühere Forschungs-Eldorado USA zu verlassen. Christian Strowa, Direktor des Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD) in Nordamerika, berichtet von einer wachsenden Zahl von Anfragen deutscher Forschender, die sich wegen Rückkehroptionen ins deutsche Hochschulsystem melden. “Natürlich wird es Menschen geben, zum Beispiel aus Asien, die entweder in den USA sind oder eigentlich in die USA gehen wollten und jetzt sich umentscheiden und in Europa vielleicht eine Stelle annehmen”, sagt MPG-Chef Cramer. Das werde man aber erst in ein, zwei Monaten sehen. “Wir haben jetzt gerade ein Postdoc-Programm aufgelegt. Es kann gut sein, dass wir da Hunderte oder noch mehr Bewerbungen sehen aus den USA.” Bei den Gruppenleiterstellen sehe man diesen Trend schon jetzt.
Es werde oft vergessen, dass nicht nur Wissenschaftler in den USA betroffen seien. “Viele Wissenschaftler sind ja schon bei uns”, sagt Cramer zu der internationalen Vernetzung und verweist auf die Forscher mit Anfang, Mitte 30 aus aller Welt, die derzeit in Deutschland eine Doktorarbeit schreiben oder einen Post-Doc-Aufenthalt absolvieren und nun nicht mehr zurück wollen. “Ich hatte gerade einige Fälle auf dem Schreibtisch, wo wir gerade aus den USA einige junge Forschende auf Gruppenleiter-Stellen einstellen.”
AKTIV ANWERBEN ODER NICHT – DEUTSCHE ZÖGERN
Eine aktive Anwerbung könnte einen Boost für die deutsche Wissenschaftsszene bedeuten. Aber anders als die französische Uni zögert man hierzulande. “Ich bin dagegen, nun ein großes Abwerbungsprogramm zu starten. Dies würde das amerikanische System schwächen”, sagt Uwe Cantner, Vorsitzender der Expertenkommission Forschung und Innovation der Bundesregierung, zu Reuters. Es gebe in den USA auch Wissenschaftler, die versuchten, Freiheit in Forschung und Lehre hochzuhalten und gegen Vorgaben der US-Regierung zu opponieren. “Es kann nicht in unserem Interesse sein, das amerikanische Wissenschaftssystem zu schwächen”, sagt er mit Blick auf einen Brain-Drain-Effekt – und eine mögliche Zeit nach Trump. “Wir sollten eine Entwicklung vermeiden, in der der eine Zölle erhebt und die anderen Wissenschaftler abwerben”, warnt Cantner. “Eine kleinere Variante wäre, tolle deutsche Wissenschaftler in allen Disziplinen, die in die USA gegangen sind, zu fragen, ob sie zurück möchten.” Forschungsminister Özdemir schlägt “temporäre Angebote” vor, die auf die Bedürfnisse der unter Druck stehenden Wissenschaftler zugeschnitten sein müssten.
Zurückhaltend reagiert auch Walter Rosenthal, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, der die Entwicklung “mit großer Sorge” verfolgt. Man wolle vor allem Solidarität mit den US-amerikanischen Hochschulen zeigen, mit denen man eng zusammenarbeite, sagt er. Dies schließe allerdings nicht aus, US-Kolleginnen und -Kollegen “an unseren Hochschulen willkommen zu heißen und gute Rahmenbedingungen dafür zu bieten”.
MPG-Präsident Cramer wiederum warnt, dass man die Folgen beachten müsse, nun großangelegte Abwerbekampagnen zu starten. “Wir müssen nur aufpassen, dass wir nicht Schaden anrichten, wenn wir in Europa jetzt massiv gegen die Trump-Regierung Leute positionieren. Das könnte unseren Kolleginnen und Kollegen auch schaden”, sagt er. “Wir müssen solidarisch sein. Aber wir dürfen nicht aggressiv auftreten.” Thomas Hofmann, Präsident der Technischen Universität München, spricht sich im Bayerischen Rundfunk dagegen aus, nun “Kolonialismus zu betreiben”.
MERZ WILL OFFENSIVEREN KURS
CDU-Chef und Kanzler-in-spe Friedrich Merz klingt dagegen schon offensiver – was ein Hinweis darauf sein könnte, dass sich die Tonlage der Bundesregierung nach dem Regierungswechsel ändern könnte. Er habe einen Professor im Krebsforschungszentrum am Universitätsklinikum in Köln gefragt, was man tun müsse, um Forscher aus den USA anzulocken, erzählte Merz Ende Februar.
Die Antwort darauf fällt allerdings nicht einfach aus. Zwar gibt es schon seit den Zeiten von Kanzlerin Angela Merkel ein durchaus erfolgreiches Programm, einzelne Top-Wissenschaftler aus den USA zurückzuholen. Aber für eine breite Anwerbekampagne gab es angesichts der bisher eher angespannten Finanzlage in Bund und Ländern keine Töpfe – privates Geld finanziert in den USA zu einem viel größeren Teil die Forschung als hierzulande. Und zumindest an staatlichen Universitäten fehlt laut Cantner oft die Flexibilität, Professoren mit dem Beamtenstatus Gehälter zu zahlen, die mit den USA mithalten können. Immerhin: Sprache gilt dagegen nicht mehr als Barriere. Große Wissenschaftsorganisationen wie die Max-Planck-, Helmholtz- oder Leibniz-Gesellschaft haben mittlerweile zumindest für Einzelfälle Pakete geschnürt, die etwa auch Jobs für Lebenspartner umfassen, meint Cramer.
Aber es lauern weitere, wichtigere Hürden. Der Medizin-Professor in Köln habe zwei davon genannt, sagte CDU-Chef Merz: “Seine Antwort war ganz einfach: Erstens, ihr müsst das Gentechnikgesetz ändern, das ist 30 Jahre alt und nicht mehr zeitgemäß. Zweitens, ihr müsst in Deutschland den Datenschutz ändern.” Auch Expertenkommissionschef Cantner sieht die gesetzlichen Rahmenbedingungen in Deutschland als Bremse in einzelnen Disziplinen. “Ein Gen-Wissenschaftler aus den USA dürfte nur schwer für Deutschland zu gewinnen sein, weil er viele Experimente, die er in den USA machen kann und darf, bei uns aus rechtlichen Gründen nicht fortsetzen kann”, sagt er. “Das Gleiche gilt übrigens für KI-Forscher, die große Datensätze und Rechenkapazitäten brauchen. Wir haben da schon noch ein paar Standortnachteile.” Auch das wolle man anpacken, sagte Merz.
(Bericht von Andreas Rinke; redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)