Istanbuler Bürgermeister und Erdogan-Rivale Imamoglu festgenommen

– von Ece Toksabay und Ezgi Erkoyun

Istanbul (Reuters) – Türkische Behörden haben am Mittwoch den wichtigsten politischen Rivalen von Präsident Recep Tayyip Erdogan verhaftet.

Ekrem Imamoglu, dem populären Bürgermeister von Istanbul, wird unter anderem Korruption und Unterstützung einer Terrorgruppe vorgeworfen. Die größte Oppositionspartei CHP sprach von einem “Putschversuch gegen unseren nächsten Präsidenten”. Die Regierung wies einen politischen Bezug zurück. Indes kritisierte die Bundesregierung die Festnahme und sprach von einem “schweren Rückschlag für die Demokratie in dem Land am Bosporus”.

Mit dem Vorgehen gegen den 54-Jährigen, der Erdogan Umfragen zufolge in der Wählergunst überholt hat, erreicht die seit Monaten andauernde Verfolgung von Oppositionellen einen neuen Höhepunkt. Kritiker sehen darin den Versuch, die Wahlchancen der Opposition mit juristischen Mitteln zu schwächen. Imamoglus Festnahme erfolgte einen Tag, nachdem die Universität Istanbul ihm seinen Abschluss aberkannt hatte. Sollte dies Bestand haben, wäre er von einer Präsidentschaftskandidatur ausgeschlossen.

Das Istanbuler Gouverneursamt verhängte ein viertägiges Versammlungs- und Demonstrationsverbot für die Stadt. Wie eine Internetbeobachtungsstelle mitteilte, schränkte die Türkei zudem den Zugang zu sozialen Medien wie X, YouTube, Instagram und TikTok ein. Imamoglu erklärte in einer handschriftlichen Botschaft auf seinem X-Account nach der Verhaftung, das türkische Volk werde die nötige Antwort auf die “Lügen, Komplotte und Fallen” geben, die gegen ihn gerichtet seien.

Obwohl einige Straßen in Istanbul gesperrt wurden, versammelten sich rund 100 Menschen vor der Polizeiwache, in die Imamoglu gebracht wurde. Sie skandierten mit Blick auf Erdogans Regierungspartei: “Der Tag wird kommen, an dem die AKP zur Rechenschaft gezogen wird.” Der türkische Justizminister Yilmaz Tunc nannte es dagegen anmaßend und unverschämt, Erdogan mit dem Fall in Verbindung zu bringen. Vor den Gerichten der Türkei, die er als unabhängig bezeichnete, stehe niemand über dem Gesetz. Die Straße sei nicht der Ort, um Gerechtigkeit zu verteidigen.

Als Reaktion auf die Festnahme brach die Istanbuler Börse zeitweise um fünf Prozent ein, die türkische Lira stürzte um zwölf Prozent auf ein Rekordtief von 42 Lira je Dollar ab. Dies unterstreicht die Sorge um den Rechtsstaat in dem wichtigen Schwellenland und Nato-Mitglied, das Erdogan seit 22 Jahren regiert. Die Regierung weist die Vorwürfe der Opposition zurück.

“EINE NEUE QUALITÄT”

Ein Sprecher des Auswärtigen Amts in Berlin sagte, die Festnahme reihe sich ein “in eine Serie erhöhten juristischen Drucks gegen den Istanbuler Oberbürgermeister”. Die Verhaftung sei nun eine neue Qualität und werfe ein zutiefst beunruhigendes Licht auf die Einhaltung demokratischer und rechtsstaatlicher Grundprinzipien in der Türkei. Konkrete Schritte, etwa die Einbestellung des türkischen Botschafters in Berlin, kündigte der Sprecher nicht an. Man sei in einem ständigen Austausch mit der türkischen Regierung, und er sei sicher, dass das Vorgehen in angemessener Weise adressiert werde. Auch der Europarat, dem die Türkei angehört, kritisierte das Vorgehen.

Die CHP wollte Imamoglu in den nächsten Tagen offiziell zu ihrem Präsidentschaftskandidaten küren, um Erdogan herauszufordern. Die nächste Wahl ist für 2028 angesetzt, doch Erdogan hat seine maximal möglichen zwei Amtszeiten als Präsident erreicht, nachdem er zuvor Ministerpräsident war. Will er erneut antreten, muss er vorzeitig wählen lassen oder die Verfassung ändern. 2024 hatte Erdogan seine schwerste Wahlniederlage erlitten, als Imamoglus CHP die großen Städte eroberte und Erdogans regierende AKP bei landesweiten Kommunalwahlen in ihren früheren Hochburgen besiegte. “Wir haben es hier mit einem Putschversuch zu tun”, sagte CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu. Die Partei werde Imamoglu am Sonntag dennoch zum Vorsitzenden wählen.

“AN DEN HAAREN HERBEIGEZOGEN”

Imamoglu sieht sich mit zwei getrennten Ermittlungsverfahren konfrontiert. Ihm wird vorgeworfen, eine kriminelle Vereinigung angeführt, Bestechungsgelder angenommen und Ausschreibungen manipuliert zu haben. Laut Istanbuler Staatsanwaltschaft wird insgesamt 100 Personen, darunter Journalisten und Geschäftsleute, die Verwicklung in kriminelle Machenschaften im Zusammenhang mit bestimmten Ausschreibungen der Stadtverwaltung vorgeworfen.

Im zweiten Verfahren wird Imamoglu und sechs weiteren Personen Unterstützung der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zur Last gelegt, die von der Türkei und ihren westlichen Verbündeten als Terrororganisation eingestuft wird. Im Februar hatte die PKK als Reaktion auf den Aufruf ihres inhaftierten Anführers Abdullah Öcalan zur Entwaffnung einen Waffenstillstand erklärt. Dies markierte einen wichtigen Schritt zur Beendigung eines Aufstands, der mehr als 40.000 Todesopfer gefordert hat.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch nannte die Vorwürfe gegen Imamoglu “politisch motiviert und an den Haaren herbeigezogen” und forderte seine sofortige Freilassung. Eine Stellungnahme von Erdogans Büro lag zunächst nicht vor.

(Mitarbeit von Alexander Ratz, bearbeitet von Alexander Ratz und Christian Götz, redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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