Größter Luftangriff auf Kiew seit Jahresbeginn – Acht Tote

– von Yurii Kovalenko

Kiew (Reuters) – Bei dem bislang größten Angriff Russlands mit Raketen und Drohnen auf die ukrainische Hauptstadt Kiew sind in der Nacht auf Donnerstag mindestens acht Menschen getötet worden.

Unter den mehr als 70 Verletzten waren nach weiteren Angaben der Rettungsdienste sechs Kinder. Der Beschuss löste Brände aus, zerstörte Gebäude und begrub Einwohner unter Trümmern. Zuvor hatte US-Präsident Donald Trump in Washington erklärt, Russland sei im Ukraine-Krieg zu einer Übereinkunft bereit. “Und ich glaube, wir haben eine Vereinbarung mit Russland”, sagte Trump, der zugleich den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj unter Druck setzte. Dieser machte deutlich, dass die Ukraine als Teil einer Übereinkunft nicht auf die Krim verzichten werde. Über Social-Media-Kanäle kam es zum Schlagabtausch der beiden.

Wegen des Großangriffs auf Kiew kündigte Selenskyj am Donnerstagvormittag eine vorzeitige Rückkehr von seinem Besuch in Südafrika an. Er werde einen Teil seines Programms absagen, erklärte Selenskyj via Telegram. In Kiew waren Rettungsteams mit Kletterspezialisten und Spürhunden an 13 Standorten im Einsatz, teilten die Einsatzkräfte mit. Es gebe 40 Brände.

UNTER DEN TRÜMMERN KLINGELN HANDYS

“Unter den Trümmern hört man das Klingeln von Mobiltelefonen”, hieß es bei den Rettungskräften. “Die Suche wird fortgesetzt, bis klar ist, dass alle gefunden wurden.” In Garagen und Verwaltungsgebäuden brach Feuer aus, und Fahrzeuge wurden von herabfallenden Metallsplittern getroffen. Sechs Stunden lang galt in der Hauptstadt Luftalarm.

Durch den Beschuss wurde unter anderem ein Wohnhaus in einem Bezirk westlich des Stadtzentrums zerstört. Auf über Telegram veröffentlichten Bildern war zu sehen, wie Rettungsteams im Scheinwerfer-Flutlicht vorsichtig durch Trümmerhaufen stiegen.

“Die Luftschutzsirene heulte, wir hatten nicht einmal Zeit, uns anzuziehen und die Wohnung zu verlassen”, beschrieb eine Kiewer Einwohnerin den Angriff. “Eine Explosion folgte der anderen, alle Fenster, Türen und Wände wurden herausgesprengt, mein Mann und mein Sohn wurden auf die andere Seite geschleudert.” Russland setzte laut ukrainischer Luftwaffe insgesamt 145 Drohnen und 70 Raketen ein, darunter elf ballistische Raketen. 112 Geschosse seien abgefangen worden.

VANCE WARNT: USA KÖNNTEN SICH ZURÜCKZIEHEN

Trump äußerte sich am Mittwoch im Weißen Haus. Russland sei zu einer Übereinkunft bereit, sagte Trump. Zur Ukraine sagte er: “Wir müssen eine Einigung mit Selenskyj erzielen.” Dies sei schwieriger, als er zuerst erwartet habe. “Aber ich glaube, wir haben eine Vereinbarung mit beiden.” Einzelheiten wurden zunächst nicht bekannt.

US-Vizepräsident JD Vance sagte bei einem Besuch in Indien, es sei an der Zeit, dass Russland und die Ukraine entweder einem US-Friedensvorschlag zustimmten “oder dass die Vereinigten Staaten aus diesem Prozess aussteigen”. Der Vorschlag sehe ein Einfrieren der territorialen Grenzen “auf einem Niveau nahe dem heutigen” und eine “langfristige diplomatische Lösung vor, die hoffentlich zu einem langfristigen Frieden führen wird”. Laut einem ehemaligen westlichen Regierungsvertreter sieht der US-Vorschlag die Anerkennung der russischen Annexion der Krim vor.

Selenskyj hatte bekräftigt, dass die Ukraine die Krim niemals an Russland abtreten werde. Russland hatte die Halbinsel 2014 in einem international verurteilten Schritt unter seine Kontrolle gebracht. “Es gibt hier nichts zu besprechen. Das verstößt gegen unsere Verfassung”, sagte Selenskyj.

TRUMP ATTACKIERT SELENKYJ VIA SOCIAL MEDIA

Trump bezeichnete dies als eine aufrührerische Aussage des ukrainischen Präsidenten, die den Frieden erschwere. In einem Social-Media-Beitrag schrieb er, die Krim sei schon vor Jahren verloren gegangen und “nicht einmal ein Diskussionspunkt”. Selenskyj räumte später auf der Kurzmittelungsplattform X ein, dass Gespräche zwischen US-amerikanischen, ukrainischen und europäischen Politikern in London von starken Emotionen geprägt gewesen seien. Er äußerte aber die Hoffnung, dass die Zusammenarbeit zum Frieden führe.

Seinem Post auf X fügte Selenskyj eine Krim-Erklärung von Mike Pompeo aus dem Jahr 2018 bei, Trumps Außenminister während seiner ersten Amtszeit. Darin hieß es: “Die Vereinigten Staaten lehnen den Versuch Russlands ab, die Krim zu annektieren, und verpflichten sich, diese Politik beizubehalten, bis die territoriale Integrität der Ukraine wiederhergestellt ist.”

Mehreren Insidern zufolge umfassen die US-Vorschläge nicht nur die Anerkennung der russischen Annexion der Krim, sondern auch die Akzeptanz der russischen Kontrolle über jene 20 Prozent des ukrainischen Territoriums, die Russland im Krieg erobert hat, den Ausschluss einer Nato-Mitgliedschaft der Ukraine und die Aufhebung westlicher Sanktionen gegen Russland.

Die russische Führung beschuldigte Selenskyj erneut, er sei zu einer Einigung nicht in der Lage. Seine Unfähigkeit, eine Vereinbarung zur Beendigung des Krieges abzuschließen, werde von Minute zu Minute deutlicher, sagte die Sprecherin des Außenministeriums in Moskau, Maria Sacharowa.

(Bericht von Ron Popeski und Anna Pruchnicka und Gram Slattery und Elizabeth Piper und Dmitry Antonov und Doina Chiacu und John Irish. Geschrieben von Holger Hansen, redigiert von Kerstin Dörr.Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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