– von Andreas Rinke
Warschau (Reuters) – Bei seinem Antrittsbesuch in Polen hat Bundeskanzler Olaf Scholz die Bedeutung einer guten Nachbarschaft betont.
“Deutschland und Polen sind Nachbarn und Freunde”, sagte der SPD-Politiker am Sonntag nach einem Treffen mit dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki. Beide sprachen auch über EU-Kritik mangelnder Rechtsstaatlichkeit in Polen, vermieden aber eine offene Konfrontation. Er hoffe sehr darauf, dass sich die EU-Kommission und die polnische Regierung einigten, sagte Scholz lediglich und erinnerte daran, wie grundlegend die gemeinsamen Werte und Rechtsstaatsprinzipien für die EU seien. Morawiecki erinnerte daran, wie stark der Handel Deutschlands mit osteuropäischen Staaten wie Polen in den letzten Jahren gewachsen seien.
Deutliche Meinungsunterschiede äußerten beide Politiker über die Weiterentwicklung der EU. Morawiecki kritisierte die Aussage im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien, dass die EU sich zu einem europäischen Bundesstaat entwickeln solle. Dies sei ein “bürokratischer Zentralismus”. Dies habe er Scholz gesagt. “Europa wird dann stark sein, wenn es ein Europa der souveränen Staaten ist, der Vaterländer.” “Gleichschaltung” sei keine gute Methode für das Funktionieren Europas, fügte er hinzu. “Wir wissen unsere Unabhängigkeit zu schätzen.”
Scholz sagte daraufhin, dass Deutschland sehr proeuropäisch sei. “Wir fühlen uns verantwortlich, dass Europa insgesamt gelingt.” Man müsse Spaltungen in Norden und Süden, Osten und Westen vermeiden. Man habe auch über die von der Bundesregierung geforderte Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips in der EU über außenpolitische Entscheidungen gesprochen.
Bekannte Differenzen zeigten sich auch in den Positionen zur deutsch-russischen Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2, dessen Aus Morawiecki forderte. “Am besten wäre, die Öffnung von Nord Stream 2 gar nicht zuzulassen”, sagte er. Einig waren sich beide Regierungschefs in ihrer Kritik am belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko, dem sie vorwarfen, Flüchtlinge als politische Waffen gegen die EU zu verwenden. Scholz sprach von einer “hybriden Kriegsführung” und einer menschenverachtenden Praxis, Menschen ins Land zu holen, um sie dann über die Grenze nach Polen abzuschieben. Morawiecki kündigte an, dass der EU-Gipfel kommende Woche über weitere Wirtschaftssanktionen gegen Belarus sprechen werde. Scholz sagte, man werde beim EU-Treffen auch die Lage an der Grenze zwischen der Ukraine und Russland reden. “Wir machen sehr klar, dass es nicht sein kann, dass die Grenzen in Europa verletzt werden. Es sollte niemand denken, dass man sie verletzen könnte, ohne dass dies harte Konsequenzen hätte”, fügte er Richtung Moskau hinzu, ohne Details zu nennen.
Scholz hatte am Freitag bei seinem ersten Auslandsreisen als Kanzler erst Paris und Brüssel besucht. Außenministerin Annalena Baerbock war am Freitag nach Antrittsbesuchen in Paris und Brüssel ebenfalls nach Warschau gereist. Polen wird seit längerem von der EU-Kommission und anderen Mitgliedsstaaten vorgeworfen, es verletzte demokratische Rechte sowie Regeln der Gemeinschaft. Das polnische Verfassungsgericht hatte geurteilt, dass der EU-Vertrag der polnischen Verfassung untergeordnet sei. Die EU-Kommission will die Auszahlung von Teilen der 36 Milliarden Euro an Polen aus dem Corona-Wiederaufbaufonds daran knüpfen, dass das Land zentrale Rechtsstaatsprinzipien erfüllt.