– von Holger Hansen
Berlin (Reuters) – Die Partei Alternative für Deutschland (AfD) wird vom Verfassungsschutz nun auch auf Bundesebene als gesichert rechtsextremistisch eingestuft.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) begründete dies am Freitag in Köln mit “der die Menschenwürde missachtenden, extremistischen Prägung der Gesamtpartei”. Mit der Entscheidung kam wieder Bewegung in die Debatte über ein Parteiverbotsverfahren gegen die AfD vor dem Bundesverfassungsgericht. Dafür gebe es aus guten Gründen hohe rechtliche Hürden, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Auch für die neuen Koalitionspartner Union und SPD ist die Entscheidung brisant: Der designierte Unions-Fraktionschef Jens Spahn (CDU) hatte für eine Normalisierung des Umgangs mit der AfD plädiert, die als größte Oppositionspartei im Bundestag den Vorsitz des Haushaltsausschusses beanspruchen kann.
Das in der AfD vorherrschende Volksverständnis konkretisiere sich in einer insgesamt migranten- und muslimfeindlichen Haltung der Partei, erklärte das Bundesamt, das die AfD seit März 2021 als rechtsextremistischen Verdachtsfall beobachtet hatte. Die Partei hatte in den vergangenen Jahren immer mehr Zulauf verzeichnet. Im Bundestag ist sie mit 20,8 Prozent nach der Union zweitstärkste Fraktion und größte Oppositionsfraktion.
Die AfD nannte die Entscheidung politisch motiviert. Die Parteivorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla sprachen von einem “schweren Schlag gegen die bundesdeutsche Demokratie”. Ihre Partei werde öffentlich diskreditiert und kriminalisiert. Die AfD werde sich dagegen weiter juristisch zur Wehr setzen.
Innenministerin Faeser dagegen verwies darauf, dass das Bundesamt unabhängig sei. “Es hat keinerlei politischen Einfluss auf das neue Gutachten gegeben”, sagte Faeser. “Die neue Einstufung ist das Ergebnis einer umfassenden und neutralen Prüfung, die in einem 1100-seitigen Gutachten festgehalten ist.”
BUNDESAMT: “ETHNISCH-ABSTAMMUNGSMÄSSIGES VOLKSVERSTÄNDNIS”
Mit der Einstufung als gesichert rechtsextremistisch gelten verfassungsfeindliche Bestrebungen auch in der Bundespartei als erwiesen. Auf Landesebene ist die AfD bereits in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Der Verfassungsschutz kann nun alle nachrichtendienstlichen Mittel bei der Beobachtung der AfD einsetzen. Konkrete Auswirkungen etwa auf die Mandatsausübung von AfD-Vertretern hat dies zunächst nicht. Für Beamte könnte die Zugehörigkeit zu einer rechtsextremen Partei Fragen aufwerfen. Sie sind gesetzlich verpflichtet, für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten.
“Das in der Partei vorherrschende ethnisch-abstammungsmäßige Volksverständnis ist nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar”, erklärte das Bundesamt. “Es zielt darauf ab, bestimmte Bevölkerungsgruppen von einer gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe auszuschließen, sie einer nicht verfassungskonformen Ungleichbehandlung auszusetzen und ihnen damit einen rechtlich abgewerteten Status zuzuweisen.” So betrachte die AfD deutsche Staatsangehörige mit Migrationsgeschichte aus muslimisch geprägten Ländern nicht als gleichwertige Angehörige eines ethnisch definierten deutschen Volkes. Es werde gegen Geflüchtete und Migranten agitiert. Dies “befördert die Verbreitung und Vertiefung von Vorurteilen, Ressentiments und Ängsten gegenüber diesem Personenkreis.”
SCHOLZ: KEIN SCHNELLSCHUSS BEI VERBOTSVERFAHREN
Der Initiator eines Bundestagsantrages für ein Verbotsfahren gegen die AfD, der CDU-Politiker Marco Wanderwitz, sah sich in seiner Forderung bestärkt. “Spätestens jetzt müssen alle drei Antragsberechtigten beim Bundesverfassungsgericht, also Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag, zeitnah ein Verbotsverfahren initiieren”, sagte Wanderwitz der “Rheinischen Post”. Auch Politiker und Landesverbände der Grünen und Die Linke forderten ein Verbotsverfahren. SPD-Juso-Chef Philipp Türmer sagte dem “Stern”: “Sobald sich die neue Regierung gebildet hat, muss dieses Thema auf den Kabinettstisch.”
Zurückhaltend äußerten sich Innenministerin Faeser und der scheidende Bundeskanzler Olaf Scholz (beide SPD). “Ein Parteiverbotsverfahren hat aus guten Gründen sehr hohe verfassungsrechtliche Hürden”, sagte Faeser. “Das sollte man nicht ausschließen, aber weiterhin sehr vorsichtig damit umgehen. Es gibt jedenfalls keinerlei Automatismus.” Scholz sagte auf dem Evangelischen Kirchentag in Hannover, er sei gegen einen Schnellschuss. Es sei richtig, dass der Verfassungsschutz seine Beobachtung der Partei nun intensiviere.
SPD: MÜSSEN MIT UNION UMGANG MIT AFD KLÄREN
Die Grünen begrüßten die Hochstufung der AfD und forderten Konsequenzen für den Umgang mit der AfD im Parlament: “Die heutige Entscheidung ist auch ein deutlicher Wink in Richtung derjenigen, die zuletzt für eine Normalisierung der Partei plädierten”, erklärten sie. Zwischen Union und SPD ist noch offen, wie sie sich im Bundestag verhalten, denn Spahn hatte jüngst gefordert, mit der AfD so umzugehen “wie mit jeder anderen Oppositionspartei auch”.
Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Katja Mast, bekräftigte dagegen ihre ablehnende Haltung. “Mit unseren Koalitionspartnern stimmen wir uns zum weiteren Umgang mit der AfD ab”, erklärte Mast. “Für mich bestätigt sich einmal mehr, dass Vertreter der AfD im Bundestag für Ämter nicht wählbar sind und Demokratinnen und Demokraten nicht repräsentieren können.”
In Umfragen nach der Bundestagswahl hatte die AfD weiter zugelegt. Im am Freitag veröffentlichen ZDF-Politbarometer vergrößerte sich der Abstand zwischen Union und der AfD aber wieder. Die Union legte in der Erhebung der Forschungsgruppe Wahlen auf 27 Prozent zu, die AfD rutschte auf 23 Prozent ab.
(Mitarbeit: Andreas Rinke. Redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)