– von Andreas Rinke und Markus Wacket
Berlin (Reuters) – Die schwarz-rote Koalition hat ihre Reihen nicht schließen können und ist mit der Verfassungsrichter-Wahl im Bundestag in einem Eklat gescheitert.
Die Führung der Union konnte Bedenken gegen die von der SPD nominierte Juristin Frauke Brosius-Gersdorf am Freitag in ihrer Fraktion nicht ausräumen. Daraufhin wurde die Wahl aller drei Richter von der Tagesordnung des Parlaments genommen, das weitere Verfahren blieb offen. Die SPD zeigte sich vor allem über Unionsfraktionschef Jens Spahn verärgert, da die Personalien im Vorfeld abgestimmt gewesen seien: “Führung und Verantwortung sind nichts für Sonntagsreden”, sagte Parteichef Lars Klingbeil. “Wenn wir dieses Land durch schwierige Zeiten durchmanövrieren wollen, (…) dann heißt das auch, dass man manch schwierige Entscheidung mittragen muss.”
Eigentlich waren Abstimmungen über drei vakant werdende Richterstellen in Karlsruhe geplant. Die Unionsfraktion hatte den Arbeitsrichter Günter Spinner nominiert, die SPD die Professorinnen Brosius-Gersdorf und Ann-Katrin Kaufhold.
Für zusätzliches Unverständnis sorgte bei der SPD, dass die Union am Freitagmorgen überraschend neue Bedenken gegen Brosius-Gersdorf vorbrachte, es gebe Plagiatsvorwürfe gegen sie. Der “Plagiatsjäger” Stefan Weber erklärte aber über die Online-Plattform X, er habe sie nicht gegen die Juristin erhoben. Der Parlamentarische SPD-Geschäftsführer Dirk Wiese kritisierte: “Wir werden gerade Zeuge, wie eine hochqualifizierte Kandidatin mit makellosem Werdegang und breiter fachlicher Anerkennung Opfer einer Schmutzkampagne wird, die haltlos ist.” Die SPD-Linke Carmen Wegge nahm auch Kanzler Friedrich Merz in die Pflicht: “Friedrich Merz und Jens Spahn müssen jetzt die Frage beantworten, wie sie den angerichteten Schaden wieder in Ordnung bringen wollen – dazu gehört auch, wie sie zukünftig sicherstellen können, dass ihre Fraktion ein zuverlässiger Koalitionspartner ist.”
Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Bernd Baumann, warf der Regierung insgesamt Schwäche vor: “Was wir heute hier sehen, ist die absolute Instabilität dieser Regierung. Es geht um das höchste Gericht in Deutschland, das Verfassungsgericht, die höchste Macht im Lande über Bundesregierung, Kanzler, Bundestag.”
AUCH GRÜNE NEHMEN SPAHN INS VISIER
Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann kritisierte Spahn scharf, weil er auch bei den Grünen für die Zustimmung für die drei Kandidaten geworben, dann aber keine Mehrheit in den eigenen Reihen organisiert habe. “Die Verantwortung dafür tragen in allererster Linie Sie, Jens Spahn, und auch Sie, Herr Merz”, fügte sie in Richtung Kanzler hinzu.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann machte deutlich, er habe sich für die Wahl aller drei Nominierten eingesetzt: “Ich habe für das in der Koalition vereinbarte Kandidaten-Paket geworben, weil das Wahlverfahren im Bundestag derzeit nach meiner Ansicht die einzige Möglichkeit ist, bürgerlich-konservative Kandidaten an das Bundesverfassungsgericht zu entsenden.” Man werde jetzt in der Koalition das weitere Vorgehen beraten.
Rechtlich ist laut Bundestagsverwaltung ein weiterer Wahlgang im Parlament möglich: Erst wenn der Bundestag zwei Wahltermine nicht wahrnehmen würde, könnte der Bundesrat anstelle des Bundestages Nachfolger für die vakanten Richterstellen wählen.
BROSIUS-GERSDORF IM VISIER VON KONSERVATIVEN
Hintergrund des Vorgehens der Union ist vor allem, dass sich in den vergangenen Tagen zeigte, dass es in der Fraktion erhebliche Vorbehalte gegen Brosius-Gersdorf gab. Das war nach Teilnehmerangaben auch in der Sondersitzung der Unionsfraktion am Freitagmorgen so. Brosius-Gersdorf steht etwa für eine liberale Politik bei Schwangerschaftsabbrüchen.
Normalerweise gelten die Richterwahlen als weitgehend unstrittig. Koalitionspartner akzeptieren die gegenseitig vorgeschlagenen Kandidaten. Diesmal gab es noch eine weitere Schwierigkeit. Denn Union, SPD und Grüne alleine haben keine nötige Zweidrittelmehrheit im neuen Bundestag mehr. Weil die Union sich weigerte, Absprachen mit den Linken zu treffen, drohte auch, dass der Unions-Kandidat Spinner in der geheimen Wahl nur mit Stimmen der AfD gewählt worden wäre.
(Weiterer Reporter: Reuters TV, Holger Hansen, . Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)