Frankfurt (Reuters) – Bayer will sich von der Last der Glyphosat-Klagewelle in den USA befreien und sieht sich trotz neuer Milliardenrückstellungen auf gutem Weg.
“Wir treffen die nötigen Entscheidungen, damit das Unternehmen die Rechtsstreitigkeiten hinter sich lassen kann”, sagte Vorstandschef Bill Anderson am Mittwoch bei der Vorlage der Halbjahresbilanz. Tausende Glyphosat-Fälle seien zuletzt vertraulich und zu niedrigen Durchschnittskosten beigelegt worden. Anderson bekräftigte das Ziel, die juristischen Risiken bis Ende 2026 deutlich zu senken. “Wir drehen jeden Stein um.” Dabei setze der Konzern nicht nur auf die Justiz. “Nichts ist vom Tisch”, betonte Anderson und drohte erneut, das Glyphosat-Geschäft in den USA im Zweifel ganz einzustellen.
Der krisengeplagte Leverkusener Pharma- und Agrarkonzern hatte bereits in der vergangenen Woche vorläufige Zahlen für das zweite Quartal veröffentlicht und seine währungsbereinigte Prognose angehoben. Die detaillierte Bilanz vom Mittwoch zeigte nun, dass das überraschend gute bereinigte Quartalsergebnis (Ebitda) über 2,1 Milliarden Euro auch von einem Sondereffekt profitierte: dem Verkauf von Fußball-Nationalspieler Florian Wirtz durch die Konzerntochter Bayer 04 Leverkusen an den FC Liverpool.
Dies sorgte für scharfe Kritik von Investoren. “Mit der Ad-hoc-Mitteilung hat Bayer sich ein Eigentor geschossen”, sagte Markus Manns, Fondsmanager beim Bayer-Investor Union Investment. “Der Konzern erwähnte nicht, dass ein erheblicher Teil des verbesserten Ergebnisses auf Transfereinnahmen von Bayer Leverkusen beruhte. Dies suggerierte Investoren eine bessere Geschäftsentwicklung, die so in diesem Ausmaß nicht stattgefunden hat.” Die Bayer-Aktie verlor daraufhin mehr als 7,5 Prozent und zählte zu den größten Dax-Verlierern.
MILLIARDEN FÜR ALTLASTEN – HOFFNUNG AUF SUPREME COURT
Für die Rechtsstreitigkeiten rund um Glyphosat und die Chemikalie PCB bildete Bayer zusätzliche Rückstellungen von rund 1,7 Milliarden Euro. Anlass war unter anderem die Bestätigung eines für Bayer nachteiligen Glyphosat-Urteils durch ein Berufungsgericht in Missouri im Mai. Im Zentrum der juristischen Strategie steht weiter der Oberste Gerichtshof der USA. Der Supreme Court hatte Ende Juni den US-Generalstaatsanwalt um eine Stellungnahme zu Bayers Antrag auf Revision eines Glyphosat-Urteils gebeten. Diese erwartet Anderson in den “nächsten Wochen oder Monaten”. Erst danach entscheidet sich, ob sich das Gericht mit dem Fall befasst. Ein Urteil wäre damit bis zum Sommer kommenden Jahres möglich. Bayer erhofft sich davon Rechtssicherheit, um künftige Klagen zu verhindern.
Parallel arbeitet der Konzern gemeinsam mit Landwirtschaftsverbänden an politischen Initiativen für mehr Rechtssicherheit bei der Kennzeichnung glyphosathaltiger Produkte. Denn die US-Umweltbehörde EPA hat Glyphosat als nicht krebserregend eingestuft und daher Warnhinweise auf den Produkten untersagt. Anderson zufolge ist das Glyphosat-Geschäft für Bayer wegen der “unbegrenzten Prozessflut” kaum noch tragbar. Es handele sich um ein älteres und wenig profitables Produkt. Sollte sich an der rechtlichen Lage nichts ändern, werde Bayer die Produktion einstellen müssen. Die Unsicherheit belaste auch künftige Investitionen. So müsse der Konzern genau abwägen, ob er sein erstes neues Herbizid seit rund 30 Jahren, Icafolin, überhaupt in den USA auf den Markt bringen könne.
Die Klagewelle hatte sich Bayer 2018 mit der 63 Milliarden Dollar teuren Übernahme des Glyphosat-Entwicklers Monsanto ins Haus geholt. Derzeit sind noch rund 61.000 Klagen offen.
UMBAU KOSTET 12.000 STELLEN
Um den Konzern wieder auf Kurs zu bringen, setzt Anderson neben der Lösung der Rechtsstreitigkeiten auf einen tiefgreifenden Umbau. Im Zuge dessen hat Bayer bislang rund 12.000 Stellen abgebaut – weitere Streichungen könnten in den nächsten 18 Monaten folgen. Ende Juni lag die Zahl der weltweiten Mitarbeiter bei knapp 90.000. Mit seinem neuen Organisationsmodell will Anderson Bürokratie abbauen und Entscheidungsprozesse beschleunigen. Allein im vergangenen Jahr wurden 7000 Stellen, vor allem im Management, gestrichen und die Zahl der Führungsebenen halbiert.
Mit Blick auf das operative Geschäft verwies Anderson auf Fortschritte bei der Profitabilität im Agrargeschäft sowie auf positive Nachrichten aus der Pharma-Pipeline. Zudem habe die US-Umweltbehörde EPA die erneute Zulassung des Pflanzenschutzmittels Dicamba vorgeschlagen. “Wir wollen in der zweiten Jahreshälfte weitere Fortschritte bei allen strategischen Prioritäten erzielen. In den kommenden Monaten gilt es, weitere neue Produkte einzuführen sowie mit den volatilen geopolitischen und währungsbezogenen Rahmenbedingungen umzugehen.”
(Bericht von Patricia Weiß, redigiert von Philipp Krach. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)