Paris/Berlin (Reuters) – Ökonomen warnen vor den Folgen eines erneuten Regierungssturzes in Frankreich.
Denn dem vierten französischen Ministerpräsidenten in drei Jahren, François Bayrou, droht am Montag eine Niederlage bei einer Vertrauensfrage im Parlament. Ein Sturz der Regierung im Streit über die Haushaltspläne gilt als so gut wie sicher und würde die politische Krise in der nach Deutschland zweitgrößten Volkswirtschaft der Eurozone verschärfen. “Wenn die Regierung Bayrou in Frankreich fällt, wird das Land in einer fiskalisch heiklen Situation handlungsunfähig”, sagte Ökonom Friedrich Heinemann vom Mannheimer ZEW-Institut. Man müsse die Ablehnung der moderaten Konsolidierungsvorschläge durch eine Parlamentsmehrheit als fiskalische Realitätsverweigerung werten. “Frankreichs Staatsfinanzen bewegen sich in Richtung Kontrollverlust.”
Die Vertrauensabstimmung ist für den Nachmittag geplant. Trotz intensiver Gespräche ist es Bayrou offenbar nicht gelungen, eine Mehrheit im Parlament zu sichern. Führende Oppositionspolitiker des gesamten politischen Spektrums machten deutlich, dass sie für eine Absetzung Bayrous stimmen werden. “Die Regierung wird stürzen”, sagte Jean-Luc Mélenchon, die Führungsfigur der Linkspartei La France Insoumise (LFI). Ähnlich äußerten sich Vertreter anderer linker und rechter Parteien. Sollte Bayrou scheitern, stünde Präsident Emmanuel Macron vor der Aufgabe, weniger als ein Jahr nach dem Sturz von Bayrous konservativem Vorgänger Michel Barnier erneut einen Regierungschef zu finden, der einen Haushalt durch das Parlament bringen kann. Eine Auflösung des Parlaments hat Macron bislang ausgeschlossen.
PROBLEM DER “POLITISCHEN PERSPEKTIVLOSIGKEIT”
“Das Problem ist die politische Perspektivlosigkeit”, erklärte Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank. Nach den Neuwahlen vom Vorjahr und der Minderheitsregierung hätten bereits drei Regierungschefs versucht, einen nachhaltigen Sparkurs einzuschlagen, “und entsprechende Reformen wurden entweder mit hohen politischen Kosten oder gar nicht umgesetzt”. Angesichts der drei Blöcke, in die man die Nationalversammlung teilen könne, wobei die Blöcke für sich gesehen auch kein homogenes Abstimmungsverhalten zeigten, gebe es kein realistisches Szenario, das in naher Zukunft für klare politische Mehrheiten spreche, warnte de la Rubia. “Entsprechend fehlt die Fantasie, wie Frankreich die Schulden, obwohl sie gar nicht so hoch sind, in den Griff bekommen soll.” Stattdessen steuere das Land erneut auf ein Budgetdefizit von rund sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu, “während die Ausweglosigkeit in der Politik mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Investitionstätigkeit und damit auch auf das Wirtschaftswachstum durchschlagen wird”.
Frankreich müsste eigentlich mehr sparen, als Bayrou das vorgegeben habe, erläuterte ZEW-Ökonom Heinemann. “Wenn sich die Menschen und die Politik in Frankreich diesen Realitäten verweigern, wird es gefährlich, auch für die Europäische Zentralbank.” Denn auf die EZB richteten sich spätestens dann alle Blicke, wenn es zum Ausverkauf französischer Staatsanleihen komme. “Die Erwartungshaltung der französischen Fiskalpopulisten ist offenbar, dass Europas Zentralbank dem Land jeden Kredit gibt, den es braucht”, warnte der Leiter des Forschungsbereichs “Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft” am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Es sei offensichtlich, dass dies die Stabilität des Euro untergraben würde. Zudem gebe es eine weitere heikle Konsequenz für die EU, die inzwischen gerne selbst Schulden mache: “Mit der französischen Bonität sinkt auch die Kreditwürdigkeit der Europäischen Union.”
(Bericht von Klaus Lauer und Tassilo Hummel, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)