Berlin (Reuters) – In Deutschland erhalten rund 46 Prozent aller Beschäftigten in der Privatwirtschaft Urlaubsgeld. Während es 74 Prozent in tarifgebunden Unternehmen sind, trifft dies nur auf 36 Prozent des Personals ohne Tarifvertrag zu, wie aus einer Analyse des WSI-Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zu den Angaben von rund 66.000 Beschäftigten hervorgeht. Die Wahrscheinlichkeit Urlaubsgeld zu bekommen ist im Westen höher als im Osten, in größeren Firmen eher als in kleineren und bei Männern größer als bei Frauen. “Angesichts der hohen Inflationsraten ist das Urlaubsgeld für viele Beschäftigte dieses Jahr ein Segen”, sagte der Leiter des WSI-Tarifarchivs, Thorsten Schulten, am Freitag. “Es schafft ein bisschen Luft, um die deutlich gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreise zu tragen”.
Problematisch sei aber, dass gut jede zweite Arbeitskraft beim Urlaubsgeld leer ausgehe. “Gerade im Niedriglohnsektor, wo diese Sonderzahlung derzeit am nötigsten gebraucht würde, wird sie am seltensten ausgezahlt”, monierte Schulten.
Der Ukraine-Krieg hat die Preise für Energie, Rohstoffe und Lebensmittel massiv erhöht. Im Mai stieg die Inflation in Deutschland auf 7,9 Prozent und war damit etwa so hoch wie zuletzt im Winter 1973/1974.
Während im Osten 32 Prozent der Beschäftigten Urlaubsgeld erhalten, sind es im Westen 48 Prozent. Grund ist laut WSI die deutlich geringere Tarifbindung im Osten. Männer arbeiten mit 49 Prozent häufiger in Betrieben, die ein Urlaubsgeld zahlen, als Frauen, von denen nur 41 Prozent die Sonderzahlung bekommen. Weitere Faustregel: Wer mehr verdient, erhält eher Urlaubsgeld. Geringverdienende mit einem Bruttomonatslohn von unter 2300 Euro bekommen nur zu 36 Prozent Urlaubsgeld. In den höheren Entgeltgruppen sind es laut WSI hingegen 48 oder 49 Prozent.
Die Höhe des Urlaubsgeldes fällt je nach Branche sehr unterschiedlich aus. Zwischen 180 Euro – in der ostdeutschen Landwirtschaft – und 2627 Euro – in der Holz- und Kunststoffverarbeitung im Westen – bekommen Beschäftigte in der mittleren Vergütungsgruppe 2022 als tarifliches Urlaubsgeld. Am wenigsten Zulagen für die Ferienzeit bekommen Beschäftigte in der Landwirtschaft und im Gastgewerbe (195 Euro im Ost, 240 Euro West). Hohe Zahlungen erhält auch die Belegschaft in der Papier verarbeitenden Industrie, in der Metallindustrie, in der Druckbranche, im Kfz-Gewerbe, bei Versicherungen, im Einzelhandel, am Bau und in der Chemieindustrie.
Im öffentlichen Dienst und in der Eisen- und Stahlindustrie gibt es kein extra Urlaubsgeld. Es wird mit dem Weihnachtsgeld zu einer Jahressonderzahlung zusammengefasst. Im Vergleich zu 2021 erhöht sich das Urlaubsgeld in der Hälfte der 22 vom WSI untersuchten Branchen – besonders dort, wo das Urlaubsgeld als Prozentsatz der Tarifentgelte festgelegt ist. Die Anstiege folgten demnach den Tariferhöhungen und lagen überwiegend zwischen 1,5 und 3,0 Prozent. Den höchsten Zuwachs beim Urlaubsgeld gab es mit 5,8 Prozent am ostdeutschen Bau und 5,2 Prozent im brandenburgischen Einzelhandel.
(Bericht von Klaus Lauer; redigiert von Reinhard Becker. – Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)