Kampf um Sjewjerodonezk – Russland stellt Ultimatum

– von Natalia Zinets

Kiew (Reuters) – Nach der Zerstörung der letzten strategisch wichtigen Brücke nach Sjewjerodonezk gibt es laut ukrainischen Angaben nach wie vor Bemühungen zur Evakuierung der eingeschlossenen Menschen.

“Die Situation ist sehr schwierig, aber es gibt noch eine Kommunikation mit der Stadt”, sagte Bürgermeister Olexandr Strjuk am Dienstag. “Die russischen Truppen versuchen, die Stadt zu stürmen, aber das Militär hält stand.” Dagegen forderte die russische Regierung die verbliebenen ukrainischen Soldaten in der Stadt auf, “ihren sinnlosen Widerstand” aufzugeben, ihre Waffen niederzulegen und sich bis Mittwochmorgen zu stellen. Unabhängig überprüfen ließen sich die Angaben nicht.

Der Gouverneur der Region Luhansk, Serhij Hajdaj, hatte zuvor erklärt, dass eine Evakuierung der Stadt mit ursprünglich gut 100.000 Einwohnern nach der Zerstörung der Brücke unmöglich sei. Das ukrainische Militär teilte mit, russische Truppen versuchten, im Zentrum von Sjewjerodonezk Fuß zu fassen. Zugleich bereiteten sie Offensiven auf westlich von Sjewjerodonezk gelegene Städte wie Slowjansk vor. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte, die Schlacht um den ostukrainischen Donbass werde als eine der brutalsten in die europäische Geschichte eingehen. “Für uns ist der Preis für diese Schlacht sehr hoch. Es ist einfach beängstigend.” Die Ukraine verliert eigenen Angaben zufolge derzeit täglich 100 bis 200 Soldaten.

Die Situation in Sjewjerodonezk habe sich extrem verschärft, erklärte Hajdaj auf dem Nachrichtendienst Telegram. “Die Russen zerstören Hochhäuser und Asot”, fügte er mit Blick auf das Chemiewerk in der Stadt hinzu. Nach ukrainischen Angaben haben in den Bunkern der Anlage mehr als 500 Zivilisten Schutz gesucht. Die Situation erinnert an die Lage in der Hafenstadt Mariupol, wo Zivilisten wochenlang mit verwundeten ukrainischen Kämpfern in einem Stahlwerk ausgeharrt hatten.

Ein Sprecher der prorussischen Separatisten erklärte laut der russischen Nachrichtenagentur RIA, die ukrainischen Truppen seien in Sjewjerodonezk praktisch eingekesselt. Sie sollten sich ergeben oder sterben. Am Montag zerstörten russische Truppen die letzte Brücke, die Sjewjerodonezk über einen Fluss mit der von der Ukraine kontrollierten Zwillingsstadt Lyssytschansk verbindet. Die beiden Städte befinden sich in der Region Luhansk, die zusammen mit der Region Donezk den zuletzt besonders umkämpften Donbass in der Ukraine bildet.

SCHOLZ: RUSSLAND WIRD KRIEG NICHT GEWINNEN

Selenskyj sagte in seiner täglichen Videobotschaft: “Wir machen unsere Partner täglich darauf aufmerksam, dass nur eine ausreichende Anzahl moderner Artillerie für die Ukraine unseren Vorteil sichern wird.” Von Bundeskanzler Olaf Scholz forderte der ukrainische Präsident “die Sicherheit, dass Deutschland die Ukraine unterstützt”. Im ZDF sagte Selenskyj: “Es darf kein Spagat versucht werden zwischen der Ukraine und den Beziehungen zu Russland.” Scholz sagte der Ukraine Lieferungen neuer Waffen zu, darunter auch hochmoderne Systeme. “Russland kann, darf und wird diesen Krieg nicht gewinnen”, betonte der Kanzler.

Nach Angaben von Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht ist die Ausbildung ukrainischer Soldaten an der Panzerhaubitze 2000 in Deutschland “bald” abgeschlossen sein. Dann könnten die Waffen in die Ukraine geliefert werden, sagte die SPD-Politikerin. Wann genau die Haubitzen geliefert würden und auf welchem Weg, das werde sie in der Öffentlichkeit nicht sagen. Deutschland will der Ukraine nach jetzigem Stand sieben Panzerhaubitzen aus Bundeswehr-Beständen zur Verfügung stellen. Zudem sei die Bundesregierung dabei, mit den USA die Lieferung von Mehrfachraketenwerfern vorzubereiten, die die Ukraine dringend brauche, sagte Lambrech.

Offen ist nach wie vor, ob Scholz am Donnerstag zusammen wie von mehreren Medien berichtet mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Italiens Regierungschef Mario Draghi nach Kiew reisen wird. In Paris sagte Regierungssprecherin Olivia Gregoire, dies sei nur eine von “mehreren Optionen”. Es gebe noch keine Entscheidung. Die Bundesregierung äußerte sich dazu nicht.

(Mit Reuters-Büros; Bearbeitet von Alexander Ratz und Elke Ahlswede; Redigiert von Hans Busemann; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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