– von Holger Hansen und Christian Krämer
Berlin (Reuters) – Steigende Zinsen und die hohe Inflation lassen die Zinsbelastung des Bundes nach Berechnungen aus dem Finanzministerium ab 2023 in die Höhe schießen.
In einer Reuters am Dienstag vorliegenden internen Einschätzung geht das Ressort von Finanzminister Christian Lindner für 2023 von Zinsausgaben in Höhe von gut 29,6 Milliarden Euro aus. Das wäre fast eine Verdoppelung der für 2022 veranschlagten Summe von rund 16,3 Milliarden Euro. “Das ist eine Steilwand, die sich vor uns auftut”, sagte Lindner bei einer Veranstaltung des Industrie-Spitzenverbandes BDI. Der FDP-Politiker unterstrich damit seine Forderung, im Bundeshaushalt 2023 zur Einhaltung der Schuldengrenze zurückzukehren.
“Im nächsten Jahr muss ich 30 Milliarden Euro für den Zins einplanen”, sagte Lindner. “Im letzten Jahr habe ich vier Milliarden Euro Kapitaldienst im Haushaltsabschluss gehabt.” Er begründete dies mit gestiegenen Zinsen und der Ausgabe inflationsgesicherter Staatsanleihen durch frühere Regierungen. “Da haben wir früher Geld mit verdient, jetzt zahlen wir Milliarden dafür”, sagte Lindner. Details nannte er nicht.
Diese gehen aber aus einer Reuters vorliegenden internen Einschätzung der für das Schuldenwesen und die Bundesschuld zuständigen Referate des Ministeriums hervor. Darin heißt es, die Summe von rund 29,636 Milliarden Euro sei angemeldet worden für den Etat 2023, der von der Regierung derzeit aufgestellt wird. Das Kabinett soll den Etatentwurf am 1. Juli beschließen. Lindner ist derzeit bemüht, die Ausgabenwünsche der anderen Ministerien zu bremsen, um die Schuldenbremse 2023 einzuhalten. Ein Verweis auf die steigende Zinsbelastung kommt ihm gelegen, um zu veranschaulichen, dass die Spielräume begrenzt sind.
UMKEHRUNG DES AGIO-EFFEKTS
Begründet wird die erwartete drastische Zunahme der Zinslast mit dem Zinsanstieg und der Inflation. Die Preissteigerung führt zu höheren Zinszahlungen für inflationsindexierte Bundeswertpapiere. Hinzu kommt vor allem, dass sich ein Effekt umkehrt, der in den vergangenen Jahren die Zinslast verringert hatte. Diese lag 2013 noch bei 31,3 Milliarden Euro und 2021 nur noch bei gut 3,9 Milliarden Euro. Dies lag auch daran, dass der Bund bei Negativ-Zinsen Geld durch neue Schulden verdiente: Investoren gaben dem Bund jahrelang bei der Schuldenaufnahme mehr Geld, als sie am Ende zurückbekamen. Dieser Aufschlag oder Agio-Gewinn betrug 2021 knapp 10,9 Milliarden Euro und im Jahr davor sogar 11,7 Milliarden Euro.
Die hohen Einnahmen kamen auch dadurch zustande, dass der Bund in den Jahren 2020 und 2021 wegen der Corona-Pandemie in Rekordhöhe neue Schulden aufnahm. Doch dieser Effekt dreht sich nach Einschätzung aus dem Finanzministerium mit steigenden Zinsen nun um. In dem Ministeriumspapier wird für 2023 nun ein Disagio veranschlagt, also ein Abschlag für Investoren, in Höhe von gut 8,5 Milliarden Euro, der die Zinslast erhöht.
Auch für die Jahre nach 2023 gehen die Ministeriumsbeamten von einer hohen Zinslast aus. Für 2024 wird sie bei knapp 25,2 Milliarden Euro veranschlagt, und für die Jahre 2025 und 2026 bei rund 27,7 Milliarden Euro und knapp 29,5 Milliarden Euro.
In der Koalition dürften die Berechungen aus dem Finanzministerium mit Vorsicht aufgenommen werden. Der Haushaltsansatz für die Zinsbelastung fiel in den vergangenen Jahren regelmäßig höher aus als die am Ende tatsächlich ausgegebene Summe. Für den Finanzminister hatte dies den schönen Effekt, dass sich ein Polster von einigen Milliarden Euro ergab.
(Redigiert von Hans BusemannBei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)