Ukraine setzt auf EU-Kandidatenstatus – Schwere Kämpfe um Luhansk

(durchgehend neu)

– von Pavel Polityuk und Andreas Rinke

Brüssel/Kiew (Reuters) – Die Ukraine setzt darauf, dass die EU dem Land noch am Donnerstag den EU-Kandidatenstatus verleiht.

Kanzler Olaf Scholz sprach bereits vor den Beratungen in Brüssel von einem “historischen Gipfel”. Unterdessen geraten die ukrainischen Streitkräfte aber im Osten des Landes immer mehr unter Druck. Russische Streitkräfte wollen nach Einschätzung des ukrainischen Generals Olexij Gromow die ukrainischen Truppen in der Stadt Lyssytschansk in der Separatisten-Region Luhansk einkesseln. In Luhansk kommt es seit Wochen zu heftigen Kämpfen mit hohen Verlusten auf beiden Seiten. Russland beschoss nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau zudem Treibstofftanks der ukrainischen Armee und militärische Ausrüstung in der Nähe von Mykolajiw.

Im Donbass toben seit Wochen heftige Kämpfe, weil die russische Armee versucht, die gesamten Provinzen Luhansk und Donezk zu erobern. Dabei fliegt die russische Luftwaffe offenbar schwere Angriffe auf ukrainische Stellungen. Russische Truppen haben zudem nach ukrainischen Angaben in der Nähe der strategisch wichtigen Städte Lyssytschansk und Sjewjerodonezk zwei weitere Ortschaften erobert. Das teilte der Gouverneur der ostukrainischen Region Luhansk, Serhij Hajdaj, mit. Lyssytschansk und Sjewjerodonezk stehen derzeit im Mittelpunkt der russischen Offensive im Osten der Ukraine. Russische Truppen waren am 24. Februar in die Ukraine einmarschiert.

Der EU-Gipfel will am Donnerstag dem Vorschlag der EU-Kommission folgen und sowohl der Ukraine als auch Moldau einen Kandidatenstatus aussprechen. An Georgien als weiterer früherer Sowjetrepublik werden dagegen vor einem solchen Schritt weitere Bedingungen gestellt.

Kanzler Scholz sprach von einem Zeichen der weiteren Solidarität mit der Ukraine. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte betonte, dass er zunächst Sorge gehabt habe, dass die EU-Kommission die Verleihung des Kandidatenstatus habe durchdrücken wollen. Aber Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe dann einen “sehr abgewogenen Vorschlag” vorgelegt und eine harte Analyse der Situation in der Ukraine erstellt. “Aber bevor die EU-Beitrittsverhandlungen starten, muss noch viel passieren.”

Zuvor hatte auch der albanische Ministerpräsident Edi Rama die Ukrainer von Illusionen gewarnt. Er verwies darauf, dass auf dem Westbalkan einige Ländern seit mehr als 17 Jahren Beitrittskandidaten seien. Dennoch haben die Beitrittverhandlungen etwa mit Nordmazedonien und Albanien noch nicht einmal begonnen.

Für Nervosität sorgte der weitere Rückgang der russischen Gaslieferungen nach Europa. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck rief die Gas-Alarmstufe und warnte, es gebe eine trügerische Sicherheit bei der Gasversorgung im Sommer. Man müsse sich aber auf den Winter vorbereiten. Die Abhängigkeit von Russland bei Energielieferungen müsse jetzt schrittweise reduziert werden. “Wir sind in einer Gaskrise”, sagte Habeck.

Auf dem zweitägigen EU-Gipfel dürfte auch das Thema weiterer Sanktionen gegen Russland angesprochen werden. Einige Staaten hatte ein siebtes Sanktionspaket gefordert, was aber bei anderen auf erhebliche Skepsis stieß. Großbritannien wiederum verhängte weitere Sanktionen gegen Russland. In einer an Exporteure gerichteten Mitteilung der Regierung werden mehrere neue Maßnahmen aufgeführt. Dazu zählen unter anderem Exportverbote für eine Reihe von Technologieprodukten, Flugzeugtreibstoff sowie Banknoten in Pfund Sterling oder EU-Währungen.

(Bericht mehrerer Reuters-Büros, geschrieben von Andreas Rinke; redigiert von Hans Seidenstücker. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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