Mehr Ausbildungsverträge – aber Rekord bei offenen Lehrstellen

Berlin (Reuters) – Die Corona-Pandemie hat den Ausbildungsmarkt in Deutschland weiter fest im Griff.

Die Zahl der Lehrstellenverträge stieg zwar 2021 um 1,2 Prozent auf 473.000. Dies liegt aber noch rund zehn Prozent unter dem Vorkrisenniveau von 2019, wie am Mittwoch aus der Bilanz des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) für 2021 hervorgeht. Zugleich kletterte die Zahl noch offener Ausbildungsstellen um gut fünf Prozent auf 63.200 und erreichte einen Rekord. Ferner sank die Nachfrage nach Lehrstellen auf den tiefsten Stand seit 1992. Die neue Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) zeigte sich besorgt, dass Betriebe Probleme hätten, Lehrstellen zu besetzen. “Dabei sind fehlende Auszubildende von heute der Fachkräftemangel von morgen.”

Größtes Problem am Ausbildungsmarkt ist das sogenannte “Matching” – also ein besseres Zusammenbringen von anbietenden Betrieben und suchenden Jugendlichen, wie das BIBB erklärte. Die Ausbildungsmarktbilanz berücksichtigt Verträge, die vom 1. Oktober 2020 bis zum 30. September 2021 abgeschlossen wurden. Die Zahl der unversorgt gebliebenen Bewerberinnen und Bewerber sank um 16,1 Prozent auf 24.600 Personen. “Jeder junge Mensch, der ohne Ausbildung bleibt, ist einer zu viel”, sagte Ministerin Stark-Watzinger.

INTERESSE NACH AUSBILDUNG LÄSST NACH – AUCH WEGEN CORONA

Handwerks-Präsident Hans Peter Wollseifer sieht den Ausbildungsmarkt zwar grundsätzlich auf dem richtigen Weg, auch wenn das Niveau von 2019 noch nicht wieder erreicht sei. “Viele junge Menschen sind aber durch die pandemische Lage nach wie vor verunsichert, weshalb sie häufig den weiteren schulischen Weg wählen und den Einstieg in das Berufsleben scheuen.” Das belegten die stark rückläufigen Bewerberzahlen. Denn die Zahl der jungen Menschen, die eine duale Berufsausbildung nachfragten, sank nochmals um 4800 auf 540.900 und erreichte den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. BIBB-Präsident Friedrich Hubert Esser sieht dies als eindeutigen Beleg dafür, “dass das Interesse der Jugendlichen und jungen Erwachsenen an der dualen Berufsausbildung weiter nachlässt”. Dies verstärke letztlich den Fachkräftemangel.

Die Virus-Krise wirkt sich derzeit extrem auf Bildungswege junger Menschen aus und treibt viele an die Uni – auch, wenn dort oft nur Digitalunterricht möglich ist. Denn die sogenannte Übergangsquote von der Schule zur Hochschule erreichte mit knapp 48 Prozent einen Höchststand. Rund 185.000 junge Frauen und Männer, die im Coronajahr 2020 einen Hochschulzugang erworben hatten, begannen noch im selben Jahr ein Studium in Deutschland, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. 2019 waren es noch 43 Prozent. “Der aktuelle Höchstwert ist maßgeblich durch die Pandemie bedingt, in der andere Bildungswege wie der Start in eine Berufsausbildung sowie Freiwilligendienste oder Work-and-Travel-Programme erheblich erschwert waren.” Die Übergangsquote betrug 2020 bei Männern sogar 53 Prozent, bei Frauen 45 Prozent.

Handwerkspräsident Wollseifer appellierte an Politik und Wirtschaft, “wieder mehr junge Menschen von den hoch attraktiven Berufs- und Karrierechancen im Handwerk zu überzeugen”. Denn gerade mit Blick etwa auf den anstehenden digitalen und ökologischen Wandel und den Ausbau der Elektromobilität sei ausreichend qualifiziertes Personal nötig. Ministerin Stark-Watzinger bezeichnete den Anstieg bei den Ausbildungsverträgen als kleinen Hoffnungsschimmer in einer schwierigen Zeit. DGB-Vize-Vorsitzende Elke Hannack sieht noch einen weiten Weg bis zu einer Normalisierung. “Wir brauchen stärkere Anstrengungen, damit die zarte Erholung keine Eintagsfliege bleibt”, sagte die Gewerkschafterin dem “Handelsblatt”.

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