Rom (Reuters) – Italien steht nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Mario Draghi von Neuwahlen.
Präsident Sergio Mattarella löste am Donnerstag das Parlament auf und machte damit den Weg für einen Urnengang im Herbst frei. Bis dahin soll Draghi geschäftsführend im Amt bleiben. “Wir befinden uns in Zeiten, die keine Pause der Regierungsgeschäfte erlauben”, sagte Mattarella in einer kurzen Ansprache in Rom. Es müsse gegen die wirtschaftliche und soziale Krise sowie die steigende Inflation angegangen werden. Draghis weithin respektierte Mehrparteien-Koalition war zuvor nach 18 Monaten zerbrochen, was an den Finanzmärkten zu Unsicherheit führte. Laut Mattarella muss eine Neuwahl binnen 70 Tagen erfolgen. Als Datum wurde in Regierungskreisen der 25. September genannt. Das ist der letzte Sonntag vor Ende der Frist.
Umfragen zufolge dürfte bei der kommenden Wahl ein Block konservativer Parteien eine klare Mehrheit erringen, angeführt von den rechtsextremen “Brüdern Italiens”.
Draghis Koalition war am Mittwoch in die Brüche gegangen, als drei seiner wichtigsten Partner eine Vertrauensabstimmung ablehnten, die er einberufen hatte, um zu versuchen, die Spaltungen zu überwinden und ihr zerrissenes Bündnis zu erneuern. Die politische Krise hat die monatelangen Versuche zur Stabilität in Italien zunichtegemacht, zu der der ehemalige EZB-Chef Draghi auch mit einer in Rom kritisierten harten Reaktion der EU auf Russlands Einmarsch in der Ukraine beigetragen hatte. Das Ansehen des Landes an den Finanzmärkten hatte sich in seiner Amtszeit verbessert. Am Donnerstag gaben italienische Anleihen und Aktien stark nach.
Draghi selbst erntete bei einem kurzen Auftritt im Parlament am Donnerstag starken Beifall von Abgeordneten. “Sogar Zentralbanker sind manchmal gerührt”, scherzte er, als er die Ovationen entgegennahm.
“Dies ist ein schwerer Schlag für die Fähigkeit Italiens, in naher Zukunft politische Maßnahmen und Reformen umzusetzen”, sagte Lorenzo Codogno, Leiter von LC Macro Advisers und ehemaliger hoher Beamter des italienischen Finanzministeriums. “Es wird zu Verzögerungen und Unterbrechungen durch vorgezogene Wahlen kommen, und höchstwahrscheinlich wird es bis zum Jahresende keinen Haushalt geben.” Normalerweise wird im Herbst der Haushalt vorbereitet, der bis Ende des Jahres verabschiedet werden muss. Neuwahlen im September sind daher ungewöhnlich. Regulär hätte in Italien der ersten Hälfte des kommenden Jahres ein neues Parlament gewählt werden sollen.
BRÜCHE IN DER KOALITION
Draghi hatte bereits letzte Woche seinen Rücktritt angeboten, nachdem einer seiner Partner – die populistische Fünf-Sterne-Bewegung – ihn bei einer Vertrauensabstimmung über Maßnahmen zur Bekämpfung der hohen Lebenshaltungskosten nicht unterstützt hatte. Mattarella hatte den Rücktritt zunächst abgelehnt. In einer Rede vor dem Senat hatte Draghi daraufhin am Mittwoch zur Einigkeit aufgerufen und eine Reihe von Problemen genannt, mit denen Italien konfrontiert ist – vom Krieg in der Ukraine über soziale Ungleichheit bis hin zu steigenden Preisen.
Die Fünf-Sterne-Bewegung blieb jedoch beim Entzug ihrer Unterstützung. Außerdem beschlossen die rechtsgerichteten Parteien Forza Italia und Lega der Abstimmung fernzubleiben, da sie eine Zusage von Draghi wollten, dass er bereit sei, eine neue Regierung auch ohne Fünf-Sterne-Bewegung und mit neuen politischen Prioritäten zu bilden. Dies wäre rechnerisch möglich nach den Kräfteverhältnissen im Parlament. Dass es in der Koalition und den Parteien gärte, zeigte auch die Tatsache, dass zwei Minister die vom früheren Regierungschef Silvio Berlusconi geführten Partei Forza Italia verließen. Die Rechtsparteien können nach Meinung von Beobachtern bei einer Neuwahl mit einem Stimmenzuwachs rechnen.
(Bericht von Giuseppe Fonte, Angelo Amante, Chrispian Balmer, geschrieben von Andreas Rinke, Ralf Bode; redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)