Lauterbach und Union streiten über mutmaßliche Impfstofflücke

Berlin (Reuters) – Die Kritik von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) an einer vermeintlichen Knappheit bei Corona-Impfstoffen Anfang 2022 hat einen Streit über Versorgungslage und Verantwortlichkeiten ausgelöst.

Der gesundheitspolitische Sprecher der Union, Tino Sorge, schrieb in einem am Mittwoch bekannt gewordenen internen Schreiben der Unionsfraktion, dass rund 50 Millionen Impfdosen für 34 Millionen nötigen Booster-Impfungen vorhanden seien. Lauterbach hatte zuvor gesagt, dass eine Coronaimpfstoff-Inventur einen Mangel für das erste Quartal 2022 ergeben habe. Sorge warf dem neuen Gesundheitsminister nun vor, die Lage wissentlich zu dramatisieren: “Karl Lauterbach ruft Feuer, um dann Feuerwehr zu spielen – obwohl er weiß, dass es gar nicht brennt.”

Ein Sprecher des Gesundheitsministeriums dementierte einen Bericht über angeblich fehlende 60 Millionen Impfdosen, sprach aber davon, dass man im ersten Quartal weniger Impfstoff ausliefern könne. Lauterbach will am Donnerstag das Ergebnis der von ihm eingeleiteten Überprüfung vorlegen. Er hatte am Dienstag auch angekündigt, dass er mit den Impfstoff-Herstellern über zusätzliche Lieferungen verhandeln werde.

Um die Kampagne für die Auffrischimpfungen anzuschieben, hatte der frühere Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) veranlasst, geplante Lieferungen von Januar in den Dezember vorzuziehen. Hintergrund sind lokale oder regionale Klagen über zu wenig Vakzin, trotz der nach Bundesangaben großen Mengen ausgelieferten Impfstoffs. Ein Problem war, dass Ärzte vor allem BioNTEch-Impfstoff spritzten und die großen Mengen verfügbaren Moderna-Impfstoff nicht nutzten.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) registrierte unterdessen mit 51.301 Fällen einen deutlichen Rückgang der Corona-Neuinfektionen. Das sind 18.300 Fälle weniger als am Mittwoch vor einer Woche. Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz sank auf 353 von 375 am Vortag. Der Wert gibt an, wie viele Menschen je 100.000 Einwohner sich in den vergangenen sieben Tagen mit dem Coronavirus angesteckt haben. 453 weitere Menschen starben in Zusammenhang mit dem Virus. Damit erhöht sich die Zahl der gemeldeten Corona-Todesfälle auf 106.680. Die Zahl der Corona-Intensiv-Patienten in Krankenhäusern sank am Mittwoch auf 4772.

Am Dienstag wurden nach Angaben des RKI 1.012.730 Menschen geimpft. Das sind etwas weniger als am Mittwoch der Vorwoche. Das Gesundheitsministerium sprach sich dagegen aus, eine Auffrischungsimpfung bereits vier Wochen nach der Zweitimpfung zu verabreichen. “Medizinisch macht das keinen Sinn”, sagte ein Sprecher. Auf die Frage, ob Nordrhein-Westfalen auf diese Praxis deshalb verzichten sollte, sagt der Sprecher: “Das folgt daraus.” Das NRW-Gesundheitsministerium verwies darauf, dass der Mindestabstand von vier Wochen “ausdrücklich keine Empfehlung” darstelle, sondern die absolute Untergrenze für Einzelfallentscheidungen sei.

Mehrere Wissenschaftler kritisierten die von Bund und Länder beschlossene Aufhebung der Testpflicht für Dreifach-Geimpfte. “Im Moment habe ich das Gefühl, das vermittelt wird ‘lassen sie sich boostern und die Welt ist wieder gut’ – das ist nicht so”, sagte die Virologin Sandra Ciesek vom Universitätsklinikum Frankfurt. Die Politik müsse nun schnell handeln und Notfallpläne auf den Tisch legen, forderte auch Dirk Brockmann, Leiter der Projektgruppe Epidemiologische Modellierung von Infektionskrankheiten des RKI.

Der neue Corona-Expertenrat der Regierung, dem Ciesek nicht angehört, wird am Freitag über Omikron beraten. Nach der Empfehlung des Expertenrats werde die Politik dann über weitere Maßnahmen entscheiden, hatte Gesundheitsminister Lauterbach angekündigt.

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