Gegenoffensive im Süden der Ukraine – “Geht nach Hause”

Mykolajiw/Kiew (Reuters) – Nach Beginn der seit langem erwarteten Gegenoffensive im Süden der Ukraine hat Präsident Wolodymyr Selenskyj russische Soldaten zum Rückzug gedrängt.

“Es ist Zeit für das russische Militär, abzuhauen”, sagte Selenskyj in seiner jüngsten Videoansprache. “Geht nach Hause”. Der Vorstoß nahe der Stadt Cherson folgt auf Wochen des praktischen Stillstands in dem seit mehr als sechs Monate andauernden Krieg. Wie bei allen Berichten aus Kampfgebieten gibt es unterschiedliche und nicht nachprüfbare Darstellungen über den Erfolg der Offensive. Während die Ukraine von Frontdurchbrüchen sprach, erklärte Russland den Vorstoß für “erbärmlich gescheitert.” Britische Geheimdienste erklärten am Dienstag, es sei noch zu früh um festzustellen, wie die ukrainische Armee vorankomme.

Selenskyj sagte in seiner Videoansprache am Montagabend, die ukrainischen Truppen würden die russische Armee bis an die Grenze jagen. Die Ukraine hole sich zurück, was ihre gehöre. Selenskyjs Berater Oleksyj Arestowytsch erklärte auf YouTube, ukrainische Truppen hätten die russischen Verteidigungslinien an mehreren Stellen durchbrochen. Zudem greife das ukrainische Militär Fähren an, mit denen russische Truppen über den Fluss Dnipro hinweg versorgt werden. Britische Geheimdienste bestätigten verstärkten ukrainischen Artillerie-Beschuss im Süden des Landes und Angriffe auf die Nachschublinien des russischen Militärs. Der Generalstab des ukrainischen Militärs berichtete am Dienstag über Gefechte in verschiedenen Teilen des Landes, gab aber keine Informationen über die Offensive bei Cherson bekannt.

Das Verteidigungsministerium in Moskau erklärte der Nachrichtenagentur RIA zufolge, die Offensiven der Ukraine im Süden seien erfolglos. Die ukrainischen Soldaten hätten bei ihren Vorstößen in den Regionen Mykolajiw und Cherson deutliche Verluste erlitten. RIA meldete aber auch, dass die von Russland eingesetzte Verwaltung der Ukraine einen Raketenangriff auf die besetzte Stadt Nowa Kachowka östlich von Cherson vorwarf. Dort seien Wasser und Strom ausgefallen. Die Behörden der weiterhin unter ukrainischer Kontrolle stehenden Hafenstadt Mykolajiw rund 90 Kilometer von Cherson entfernt meldeten wiederum, dass dort bei russischen Angriffen zwei Menschen getötet worden seien.

Russland hatte am 24. Februar mit dem Einmarsch in die benachbarte Ex-Sowjetrepublik begonnen. Kurz darauf eroberte es große Teile der südlichen Ukraine. Die Regierung in Moskau bezeichnet das Vorgehen als Spezialoperation mit dem Ziel, militärische Kapazitäten zu zerstören und als gefährlich eingestufte Nationalisten zu bekämpfen. Die Ukraine und ihre Verbündeten sprechen von einem Angriffskrieg, in dem inzwischen Tausende Menschen getötet wurden. Millionen sind auf der Flucht. Der Krieg ist eine Zäsur in der Nachkriegsgeschichte Europas und hat weit über die Region hinaus eine Energie- und Lebensmittelkrise ausgelöst.

MELDUNGEN ÜBER ERNEUTEN BESCHUSS VON AKW

Zudem schürt der anhaltende Beschuss von Europas größtem Atomkraftwerk Saporischschja die Furcht vor einer Nuklearkatastrophe. Am Dienstag meldete die von Russland eingesetzte Verwaltung in der ukrainischen Stadt Enerhodar einen erneuten Beschuss des Geländes, auf dem das AKW Saporischschja liegt. Zwei Sprengkörper sollen nahe eines Lagers für verbrauchte Brennstoffe detoniert seien, berichtete die russische Nachrichtenagentur Tass. Russland und die Ukraine machen sich gegenseitig für den Beschuss der Anlage verantwortlich. In den kommenden Tagen sollen internationale Experten die Schäden am Werk in Augenschein nehmen und seine Sicherheit überprüfen.

(Bericht von Andrea Shalal und Max Hunder, geschrieben von Elke Ahlswede, redigiert von Christian Rüttger. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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