Wirtschaftsweise erwarten wenig Wachstum bei hoher Inflation

– von Christian Kraemer und Rene Wagner

Berlin (Reuters) – Hohe Inflation, turbulente Finanzmärkte, schwächelnde Weltkonjunktur: Die Wirtschaftsweisen erwarten angesichts heftigen Gegenwinds keinen kräftigen Aufschwung in Deutschland, sind aber nicht mehr ganz so pessimistisch wie noch im Herbst.

Das Bruttoinlandsprodukt dürfte in diesem Jahr um 0,2 Prozent wachsen, wie aus ihrem am Mittwoch veröffentlichten Ausblick hervorgeht. Im November hatte sie wegen der Sorge um eine ausreichende Gasversorgung noch einen Rückgang von 0,2 Prozent vorausgesagt. Für 2024 rechnen die Regierungsberater mit einem Plus von 1,3 Prozent. “Der inflationsbedingte Kaufkraftverlust, die schlechteren Finanzierungsbedingungen und die sich nur langsam erholende Auslandsnachfrage verhindern einen stärkeren Aufschwung in diesem und im kommenden Jahr”, sagte die Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Monika Schnitzer. Damit schneidet Deutschland eher schlecht ab: Für die Euro-Zone wird 2023 ein Plus von 0,9 und für 2024 von 1,5 Prozent erwartet.

Den Höhepunkt bei der Inflation hält der Sachverständigenrat für überschritten, rechnen aber nur mit einem langsamen Rückgang. Im Jahresdurchschnitt wird für 2023 mit einer Teuerung von 6,6 Prozent gerechnet, nach 6,9 Prozent im vergangenen Jahr. “Die Inflation kommt zunehmend in der Breite der Wirtschaft an”, sagte der Wirtschaftsweise Martin Werding. “Die gestiegenen Erzeugerpreise und die zu erwartenden Lohnsteigerungen dürften die Verbraucherpreisinflation noch bis ins kommende Jahr hinein hoch halten.” Erst 2024 dürfte sie merklich zurückgehen, und zwar auf 3,0 Prozent.

Die Energiekrise hält das Gremium trotz der jüngsten Beruhigung auf den Märkten noch nicht für ausgestanden. “Für den Winter 2023/24 bleibt die Gefahr erneuter Preissprünge oder gar einer Gasmangellage durchaus bestehen”, sagte die Ökonomin Veronika Grimm. Vermutlich dürfte dies verhindert werden können. Das Risiko bestehe aber, auch weil der Anreiz zum Energiesparen bei wieder niedrigeren Preisen geringer sei. “Die Energiekrise ist also noch längst nicht vorbei.” Die Gasspeicher würden bei einem strengen Winter nur für zwei Monate reichen. Nach dem jetzigen Winter sind sie noch vergleichsweise voll, weil die Temperaturen weitgehend mild ausgefallen sind.

Die straffere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) verschlechtere die Finanzierungsbedingungen, was die Konsumnachfrage und Investitionen dämpfe. Dies dürfte sich aber erst im Verlauf des Jahres merklich auf die Inflation auswirken und deren Entwicklung spürbar bremsen. “Die Inflation ist noch weit vom Ziel der EZB von zwei Prozent entfernt, daher dürften weitere Zinserhöhungen in diesem Jahr erforderlich sein”, sagte die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier. “Die hohe Unsicherheit an den Finanzmärkten der vergangenen Wochen erschwert allerdings die Inflationsbekämpfung durch die Zentralbanken.”

KEINE FINANZKRISE 2.0

Trotz der jüngsten Turbulenzen in der Bankenbranche erwartet der Sachverständigenrat keine Neuauflage der Finanzkrise von 2008. Die Unsicherheit an den Finanzmärkten sei zwar durch die Schließung der Silicon Valley Bank und die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS zuletzt gestiegen, sagte Malmendier. “Anders als in der globalen Finanzkrise basieren die Schwierigkeiten einzelner Banken aber nicht auf weitgehend wertlosen Finanzprodukten.” Zudem seien derzeit weder der Interbankenmarkt noch die Kreditversorgung der Realwirtschaft gestört. Die Finanzmarktstabilität dürfte daher aktuell nicht gefährdet sein, hieß es. Zwar seien die schnell gestiegenen Zinsen für das Finanzsystem eine Herausforderung. Die Banken hätten aber bis auf sehr wenige Ausnahmen ein gut funktionierendes Liquiditätsmanagement und könnten steigende Zinsen gut verkraften.

Trotz des mauen Wachstums dürfte sich der Arbeitsmarkt in Deutschland stabil entwickeln. Die Erwerbstätigkeit etwa sollte bis Ende 2024 leicht zunehmen. Allerdings droht 2023 das vierte Jahr in Folge mit sinkenden Reallöhnen. “Zumindest für das Jahr 2023 ist der Lohnanstieg niedriger als die erwartete Inflation”, sagte der Wirtschaftsweise Achim Truger. Mit einem Anstieg der Reallöhne sei erst im kommenden Jahr zu rechnen. Dies dürfte dann den privaten Konsum beleben.

(Redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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