Berlin (Reuters) – Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach geht von einer deutlich höheren Anzahl an Corona-Neuinfektionen in Deutschland als offiziell ausgewiesen aus.
Die tatsächliche Inzidenz seit etwa zwei- bis dreimal so hoch, sagte der SPD-Politiker am Mittwoch in Berlin. “Darüber hinaus sehen wir eine deutliche Zunahme der Omikron-Fälle, die uns Sorge macht.” Lauterbach appellierte an die Bevölkerung, den Jahreswechsel vorsichtig zu verbringen, um zusätzliche Infektionsketten zu vermeiden. “Bitte feiern Sie in ganz kleiner Runde und gefährden Sie sich nicht gegenseitig.” Die ausgewiesene Inzidenz “unterschätzt die Gefahr, in der wir uns derzeit befinden”.
Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) wurden binnen 24 Stunden 40.043 Neuinfektionen registriert. Das waren 5616 weniger als eine Woche zuvor. “Den derzeit zu beobachtenden Rückgang der Fallzahlen halte ich nicht für nachhaltig”, sagte Lauterbach. Hingegen verzeichneten Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien, Portugal und Griechenland zuletzt eine Rekordzahl neuer Fälle – nicht zuletzt wegen der starken Ausbreitung der hochansteckenden Omikron-Variante. Grund für die vermutete hohe Dunkelziffer hierzulande ist Lauterbach zufolge, dass weniger gestestet werde – etwa an Arbeitsplätzen und in Praxen. Von den getesteten Ergebnissen werde auch weniger weitergeleitet, “so dass es zu einer deutlichen Untererfassung kommt”. Den Gesundheitsämtern machte Lauterbach keinen Vorwurf. Diese hätten zu wenig Personal, was sich an Feiertagen besonders bemerkbar mache.
DEUTLICHER OMIKRON-ANSTIEG ERWARTET
Lauterbach warb zugleich für das Impfen. Er verwies darauf, dass die Booster-Kampagne nach den Weihnachtstagen wieder angelaufen sei. Er rief die Bevölkerung dazu auf, sich Termine zu beschaffen oder in Impfzentren und Arztpraxen zu gehen. “Tatsächlich ist die Booster-Impfung die beste Schutzimpfung gegen die Omikron-Variante”, sagte der Minister. Omikron werde sich schon bald in Deutschland stark ausbreiten. “Von den Daten, die ich jetzt gesehen habe, rechne ich auch in Deutschland innerhalb von sehr kurzer Zeit, innerhalb von wenigen Wochen, mit einem deutlichen Anstieg.” Der Omikron-Anteil werde steigen, aber auch die Fallzahlen insgesamt. Deutschland sei teilweise etwas besser aufgestellt als die derzeit besonders von Omikron betroffenen Länder. Die Schutzmaßnahmen dürften aber nicht reichen, um einen deutlichen Anstieg der Omikron-Fälle zu verhindern.
Frankreichs Gesundheitsminister Olivier Veran gab vor Abgeordneten 208.000 Neuinfektionen bekannt und nannte den Anstieg “schwindelerregenden”. Bei Omikron könne man nicht mehr von einer Welle reden, vielmehr vereinigten sich mehrere einzelne Wellen zu einer einzigen riesigen. Am Dienstag lag die Zahl neuer Fälle noch bei 180.000.
In den USA stieg der Sieben-Tage-Durchschnitt bei den Infektionszahlen wegen Omikron auf ein Rekordhoch. Er lag bei 258.312, wie aus einer Erhebung der Nachrichtenagentur Reuters auf Basis offizieller Daten hervorgeht. Der bisherige Höchststand lag bei 250.141 und war am 8. Januar registriert worden. Omikron ist inzwischen die dominierende Corona-Variante in den USA und machte dort zuletzt rund 60 Prozent der Infektionsfälle aus.
Viele Länder haben immer noch mit der Delta-Variante zu kämpfen. Darunter ist Polen, das am Mittwoch 794 Covid-bedingte Todesfälle meldete – die höchste Zahl in der vierten Welle der Pandemie. Der stellvertretende Gesundheitsminister Waldemar Kraska sagte, mehr als 75 Prozent der Toten seien nicht geimpft gewesen.
Erste Daten aus Großbritannien, Südafrika und Dänemark deuten darauf hin, dass das Risiko einer Krankenhauseinweisung bei der Omikron-Variante geringer ist als bei Delta. Einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge sind jedoch weitere Studien erforderlich, um zu verstehen, wie sich die Schwere der Erkrankung auf die Impfung oder eine frühere Infektion auswirken kann.