Berlin (Reuters) – Die deutsche Industrie fürchtet nach dem EU-Kompromiss zu CO2-Grenzausgleichszöllen einen noch schwierigeren Wettbewerb gegenüber anderen Weltregionen.
“Insbesondere exportorientierte Branchen werden massive Probleme bekommen”, teilte der VIK Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft am Mittwoch in Berlin mit. Dieser vertritt rund 300 Unternehmen, die in etwa für 80 Prozent des industriellen Energieverbrauchs stehen. Neben den bereits hohen Energiepreisen komme nun ein weiterer Wettbewerbsnachteil hinzu. “Carbon Leakage” könnte die Folge sein, die Verlagerung von treibhausgasverursachenden Industrien in Länder außerhalb der EU, um Umweltauflagen zu umgehen. Damit wäre dem Klima nicht gedient.
Die EU-Institutionen hatten sich am Dienstag auf einen CO2-Grenzausgleichmechanismus verständigt. Es sind weltweit die ersten Abgaben für Kohlendioxid-Emissionen bei der Einfuhr von energieintensiven Erzeugnissen wie Stahl und Zement. Die Regelung soll eigentlich vermeiden, dass europäischen Unternehmen Wettbewerbsnachteile durch ambitionierte Klimaschutzvorgaben der EU entstehen – und gilt auch für die Einfuhr von Eisen, Düngemitteln, Aluminium und Strom. Firmen müssen für die Einfuhr dieser Güter Zertifikate kaufen, um die CO2-Produktemissionen abzudecken.
Aus Sicht von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wird so Klimaschutz belohnt. Doch die Industrie fürchtet eher Nachteile: “Damit entstehen gleichzeitig neue Unternehmensbelastungen und Rechtsunsicherheit gerade durch die hochkomplexen Berechnungs- und Nachweismethoden”, sagte Achim Dercks vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). “Im Zollbereich droht zudem gerade für kleine und mittelständische Unternehmen Bürokratie in der Lieferkette.”
Der Chemieverband VCI betonte, es gebe noch große Fragezeichen. “Auf unsere Unternehmen kommt jetzt ein Dickicht von bürokratischen Verfahren zu.” Die USA gingen dagegen einen ganz anderen Weg, so dass dort grüne Produkte künftig deutlich günstiger hergestellt werden könnten als in Europa. Die US-Regierung hat dazu ein milliardenschweres Förderpaket geschnürt. “Die EU muss bei der Einführung genau schauen, ob und wie das System funktioniert”, so VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup. Ein schonungsloser Realitätscheck sei nötig. “Die Gefahr ist groß, dass europäische Chemieproduktion gegenüber den USA, aber auch den Golfstaaten oder China, weiter an Wettbewerbsfähigkeit verliert.”
Die formelle Zustimmung des EU-Rates für das neue System steht noch aus. Derzeit gewährt die EU der heimischen Industrie kostenlose CO2-Zertifikate, um sie vor ausländischer Konkurrenz zu schützen. Sie plant aber, diese mit der schrittweisen Einführung des CO2-Grenzausgleichs abzuschaffen.
(Bericht von Christian Krämer, redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)