– von Andreas Rinke
Berlin (Reuters) – Angesichts der Entwicklung in Russland und China hat SPD-Co-Chef Lars Klingbeil eine Überprüfung der bisherigen deutschen Politik gefordert.
“Wir haben in der Politik bis heute keinen überzeugenden Umgang mit autoritären Staaten gefunden”, sagte Klingbeil der Nachrichtenagentur Reuters in einem am Donnerstag veröffentlichten Interview. Dabei stellte er auch eine grundlegende Philosophie der bisherigen deutschen Außenpolitik infrage: “Ich frage mich, ob das jahrzehntelang gepflegte Konzept noch passt, mit immer mehr Verflechtungen und ökonomischen Beziehungen den Wandel in einem Land herbeiführen zu wollen.” Wenn man sich Russland anschaue, müsse man einfach sagen, dass sich dort die innenpolitische Situation in den vergangenen Jahren massiv verschlechtert habe. Auch bei China stellten sich solche Fragen. Gleichzeitig müssen man aber einen Dialog mit solchen Ländern führen, denn Herausforderungen wie der Klimawandel ließen sich nur global lösen.
Es sei richtig, nun auch auf Flüssiggas als Alternative zu setzen. “Wir brauchen Gas für den Übergang. Es ist gut, dass sich Kanzler Olaf Scholz so klar hinter den Bau von LNG-Terminals gestellt hat. Dies ist auch ein klares Signal an Russland, dass Abhängigkeiten abgebaut werden sollen”, sagte er.
Zugleich äußerte sich Klingbeil sehr kritisch über eine konkrete Zusammenarbeit mit Russland unter Präsident Wladimir Putin. “Eine positive Agenda mit Russland ist leider derzeit in weite Ferne gerückt”, sagte er. Zwar gebe es viele mögliche Kooperationen von Städtepartnerschaften, Jugendaustausch bis zu Zusammenarbeit beim Klimaschutz. “Aber die Wahrheit ist, dass all das angesichts der Eskalation gerade sehr weit weg ist: Putin hat es selbst in der Hand, ob wir zu einer engeren Zusammenarbeit finden können.” Wenn er deeskaliere, könnten solche Kooperationen perspektivisch wieder stärker möglich sein. Russland habe die Verantwortung für die Eskalation der Lage mit der Ukraine.
Als Antwort forderte Klingbeil eine Stärkung Europas, was “für Deutschland der Kern außenpolitischer Bemühungen sein” müsse. Es müssten viele Ressourcen in die Hand genommen werden, um Europa außen- und sicherheitspolitisch zu stärken. “Ich bin der festen Überzeugung, dass eine Ostpolitik nur europäisch sein kann”, fügte er hinzu. Klingbeil kündigte nach einer SPD-internen Spitzenrunde zur Russland-Politik an, dass er künftig häufiger Runden zu außenpolitischen Themen zusammenrufen werde. “Wir müssen Fragen grundlegend beantworten: Haben wir in der SPD genug Gesprächskanäle in die Regierungen und Zivilgesellschaften anderer Länder, zu osteuropäischen Partnern, aber auch nach Russland? Stimmen unsere alten Überzeugungen über Außenpolitik noch?”
“BEI MÖGLICHEN SANKTIONEN LIEGT ALLES AUF DEM TISCH”
Seine Abstimmung mit dem Kanzler sei in außenpolitischen Fragen sehr eng. Klingbeil verteidigte Scholz gegen den Vorwurf, dieser führe nicht. “Wir brauchen keinen Kanzler, der morgens aufwacht und Testosteron-gesteuert irgendwelche Überschriften produziert. Wir brauchen einen Kanzler, der Dinge regelt und Probleme im Interesse unseres Landes löst.” Das mache Scholz. Gerade in der jetzigen Krise komme es auf jeden Schritt an, der sorgfältig vorbereitet sein muss – “und nicht alles ist sofort sichtbar.” Scholz hatte am Mittwochabend angekündigt, dass er nach den USA in Kürze auch nach Moskau reisen werde.
Klingbeil wies den Vergleich mit Kanzlerin Angela Merkel am Ende ihrer 16-jährigen Amtszeit als unpassend zurück. “Natürlich hatte Merkel am Ende ein Grundvertrauen aufgebaut. Genau dieses Vertrauen wird Olaf Scholz auch aufbauen”, sagte er. Die Ampel-Koalition sei aber gerade einmal acht Wochen im Amt. “Ein Kanzler muss auch die Stärke haben, im Hintergrund zu arbeiten und nicht sofort alles zu tun, was in der Öffentlichkeit von ihm verlangt wird. Und diese Stärke hat Olaf Scholz.”
Der SPD-Co-Chef distanzierte sich indirekt von Äußerungen früherer SPD-Politiker zur Ukraine-Krise. “Wir sagen klar, was die Linie der derzeitigen SPD in Regierung und Partei ist – und nur die zählt”, betonte Klingbeil. “Bei möglichen Sanktionen liegt wirklich alles auf dem Tisch – das versteht jeder, der es verstehen will”, sagte er in Anspielung auf die Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2. Zugleich müsse man zum Dialog bereit sein. Das Pochen auf Dialog und Verhandlungen sei öffentlich schwerer zu vermitteln sein als schnelle Waffenlieferungen. “Aber Gespräche sind entscheidende Mittel, um einen Krieg zu verhindern. Waffenlieferungen sind es nicht.”