Frankfurt (Reuters) – Die Europäische Zentralbank (EZB) hat Finanzmarkt-Spekulationen auf eine Abschwächung ihres Zinserhöhungskurses zurückgewiesen.
EZB-Präsidentin Christine Lagarde und der niederländische Notenbank-Chef Klaas Knot nutzten am Donnerstag das Weltwirtschaftsforum in Davos als Bühne, um deutlich zu machen, dass die Euro-Wächter im Kampf gegen die hohe Teuerung nicht nachlassen werden. An den Finanzmärkten hatten Investoren zuletzt ihre Erwartungen gedrosselt, wie hoch die EZB ihre Schlüsselzinsen in diesem Jahr noch anheben wird. Eine zuletzt rückläufige Inflation in der Euro-Zone sowie ähnliche Spekulationen auf kleinere Zinsschritte in den USA hatten bei Anlegern solche Überlegungen unterstützt.
“Ich würde diesen nahelegen, ihre Position zu überdenken. Ich denke, sie wären gut beraten, das zu tun,” sagte Lagarde in einer Diskussionsrunde auf dem Weltwirtschaftsforum. Die Teuerungsrate sei weiterhin viel zu hoch. “Wir werden den Kurs so lange beibehalten, bis wir uns lange genug im restriktiven Bereich bewegt haben, um die Inflation rechtzeitig wieder auf zwei Prozent zurückzubringen”, sagte sie. Unter einem restriktiven Niveau verstehen Volkswirte ein Zinsniveau, mit dem eine Volkswirtschaft gebremst wird.
Die EZB hat die Schlüsselzinsen seit Juli 2022 inzwischen bereits viermal nach oben gesetzt – zuletzt im Dezember um 0,50 Prozentpunkte. Der an den Finanzmärkten maßgebliche Einlagensatz, den Banken für das Parken überschüssiger Gelder von der Notenbank erhalten, liegt damit inzwischen bei 2,0 Prozent. An den Finanzmärkten erwarteten Investoren zuletzt, dass die EZB den Satz bis zum Sommer auf rund 3,2 Prozent anheben wird. Noch zur Jahreswende war mit einem kräftigeren Anstieg auf 3,5 Prozent gerechnet worden. Während eine Zinserhöhung um 0,50 Prozentpunkte auf der Zinssitzung Anfang Februar bereits als ausgemachte Sache gilt, schwanken die Erwartungen für die März-Sitzung der EZB zwischen 0,50 und einem kleineren Schritt von 0,25 Prozentpunkten.
NOCH KEINE ENTWARNUNG
Die Inflation war zuletzt gesunken und lag im Dezember noch bei 9,2 Prozent nach 10,1 Prozent im November. Doch für die EZB ist das noch kein Zeichen der Entwarnung. Die EZB blicke auf die Teuerung in allen ihren Messgrößen, sagte Lagarde. “Die Inflation in allen Berechnungen, wie immer man sich das auch anschaut, ist viel zu hoch,” sagte sie. Die Kerninflation, in der die schwankungsreichen Preise für Energie, Lebensmittel, Alkohol und Tabak rausgerechnet sind, war zuletzt im Dezember sogar auf 5,2 Prozent gestiegen von 5,0 Prozent im November.
Auch EZB-Ratsmitglied Knot betonte die Entschlossenheit der Euro-Notenbank. “Ich denke, dass wir mindestens noch bis zur Mitte des Jahres im Straffungsmodus sein werden”, sagte er in Davos dem Sender CNBC am Rande des Weltwirtschaftsforums. “Den größten Teil des Weges, den wir zurücklegen müssen, werden wir in einem konstanten Tempo von mehreren Erhöhungen um 50 Basispunkte zurücklegen”, führte er aus. Wo dieses Schritttempo enden werde, könne er im voraus nicht sagen.
Aus den am Donnerstag veröffentlichten Protokollen der letzten Zinssitzung im Dezember geht hervor, dass die Währungshüter auf dem Treffen über ihre Zinsbeschlüsse besonders hart gerungen haben. Die EZB beschloss am 15. Dezember schließlich, das Tempo ihrer Zinserhöhungen von zuletzt 0,75 Prozentpunkten auf 0,50 Prozentpunkte zu drosseln. Zudem kündigte sie an, ab dem März 2023 auch ihre billionenschwere Bilanz zu verringern. Lagarde stellte auf der anschließenden Pressekonferenz zudem weitere Zinsanhebungen um jeweils einen halben Prozentpunkt in Aussicht. Laut dem Sitzungsbericht wurde der erzielte Kompromiss in gewisser Weise als gleichwertig einer Anhebung um 0,75 Prozentpunkte eingestuft.
Aus den Protokollen geht unter anderem hervor, dass die Euro-Wächter wegen der anhaltend hohen Kerninflation besorgt waren. “Selbst wenn die Zahlen zur Gesamtinflation im Laufe des Jahres 2023 vor allem aufgrund von Basiseffekten stark zurückgingen, dürfte dies bei der Kerninflation nicht der Fall sein”, hieß es im Protokoll. Der Bericht wies in diesem Zusammenhang auf ein höheres Risiko hin, dass sich der Preisschub in der Wirtschaft verfestigen könnte.
Etwas besser sieht das Bild bei den Wirtschaftsaktivitäten aus. Die Nachrichten seien in den vergangenen paar Wochen viel positiver geworden, sagte Lagarde in der Diskussionsrunde in Davos. Inzwischen werde nur noch von einem leichten Rückgang der Wirtschaftsleistung gesprochen. Zu sehen seien schwächere Wirtschaftsaktivitäten verglichen mit einem exzellenten Jahr 2022. Für 2023 lägen die Wachstumsprojektionen nur bei 0,5 Prozent. “Somit ist das kein brillantes Jahr, aber es ist viel besser, als das, was wir befürchtet hatten,” sagte sie.
(Bericht von Frank Siebelt; Redigiert von Birgit Mittwollen.; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)