Kiew/Lwiw/London (Reuters) – Russland hat einen neuen Anlauf für die Einrichtung von Fluchtkorridoren für Zivilsten in mehreren ukrainischen Städten angekündigt.
Dafür sei ab 08.00 Uhr eine Feuerpause geplant, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau am Montag mit. Neben der Hauptstadt Kiew seien derartige Passagen auch für Charkiw, Mariupol und Sumy geplant. Im ganzen Land wurden die schweren Kämpfe zwischen russischer Armee und ukrainischen Truppen am zwölften Tag der Invasion fortgesetzt.
Russland komme mit den angekündigten humanitären Korridoren einem persönlichen Ersuchen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron nach, erklärte das Verteidigungsministerium. Die russische Nachrichtenagentur RIA berichtete, der Fluchtweg für die Kiewer Bevölkerung solle nach Belarus führen, der für Charkiw nach Russland. Die Korridore für Mariupol und Sumy sollten in andere ukrainische Regionen und nach Russland führen. Die überwältigende Mehrheit der bislang rund 1,5 Millionen Menschen auf der Flucht will in westliche Länder gelangen.
Am Wochenende war zweimal die Schaffung eines humanitären Korridors für rund 200.000 Menschen aus dem umzingelten Mariupol gescheitert. Russland und die Ukraine gaben sich dafür gegenseitig die Schuld. In der Ukraine und im Westen wird befürchtet, dass die Angriffe mit Raketen und Granaten auf die Städte zunehmen werden.
Für diesen Montag ist nach Angaben des ukrainischen Unterhändlers David Arachamia eine dritte Gesprächsrunde mit Russland über eine Waffenruhe geplant. Der russische Präsident Wladimir Putin ließ am Wochenende keine Anzeichen für ein Einlenken erkennen. “Es ist zu hoffen, dass die Vertreter der Ukraine bei der geplanten nächsten Runde von Verhandlungen einen konstruktiveren Ansatz zeigen, (und) die neu entstehende Realität voll berücksichtigen”, erklärte er nach Angaben des Präsidialamtes. Russland bezeichnet sein Vorgehen als “Spezialoperation”. Ziel sei nicht die Besetzung der Ukraine, sondern die Zerstörung der militärischen Kapazitäten der Ukraine sowie die Festnahme als gefährlich eingestufter Nationalisten. Auch die Regierung in Kiew zeigte sich bislang nicht bereit, den russischen Forderungen nachzugeben.
SELENSKYJ WARNT VOR BEVORSTEHENDEN ANGRIFFEN AUF ODESSA
Am Wochenende warnte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vor bevorstehenden Raketenangriffe auf die Hafenstadt Odessa am Schwarzen Meer. Die russische Armee versuchte, weiter auf die Hauptstadt Kiew vorzurücken und diese einzukreisen. Britischen Geheimdienstkreisen zufolge griffen die Russen ähnlich wie in Syrien oder im Tschetschenien-Krieg dicht besiedelte Gebiete an. Der ukrainische Widerstand verzögere jedoch den Vormarsch der russischen Truppen weiter. Russland bestreitet, Zivilisten ins Visier zu nehmen.
Die Ukraine meldete, bislang seien rund 11.000 russische Soldaten getötet und 88 russische Flugzeuge und Hubschrauber abgeschossen worden. Über eigene Verluste machte die Regierung in Kiew keine Angaben. Reuters konnte die Angaben der beiden Kriegsseiten nicht überprüfen. Nach UN-Angaben sind bislang mindestens 350 Zivilisten bei den Kämpfen gestorben, Hunderte wurden verletzt.
Am Wochenende liefen auch die internationalen Bemühungen um eine Feuerpause auf Hochtouren. Israels Ministerpräsident Naftali Bennett, den die Ukraine um Vermittlung gebeten hatte, sprach am Samstag überraschend drei Stunden mit dem russischen Präsidenten in Moskau. Anschließend flog er nach Berlin zu Kanzler Olaf Scholz. Am Sonntag telefonierte er nach russischen Angaben erneut mit Putin. Mit Selenskyj sprach er nach israelischen Angaben am Wochenende drei mal. Zudem telefonierte er am Sonntag mit Scholz und mit Macron. Auch Macron und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatten Gespräche mit Putin geführt. Ein greifbares Ergebnis der Krisendiplomatie lag zunächst jedoch nicht vor.