Putin-Gegner Nawalny zu neun weiteren Jahren Haft verurteilt

(Reuters) – Der inhaftierte Kreml-Kritiker Alexej Nawalny ist von einem russischen Gericht erneut schuldig gesprochen und zu neun weiteren Jahren Haft verurteilt worden.

Das Gericht sah am Dienstag den Vorwurf umfangreichen Betrugs und Missachtung des Gerichts als erwiesen an. Die Haft soll Nawalny in einem Hochsicherheitsgefängnis verbüßen. Zudem wurde er zu einer Zahlung von umgerechnet knapp 10.500 Euro verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte 13 Jahre Gefängnis gefordert. Sie erklärte, Nawalny habe in der Haft Verbrechen begangen und sei somit zum Wiederholungstäter geworden. Nawalny bezeichnet die Anschuldigung gegen sich als erfunden und politisch motiviert.

Der 45-Jährige sitzt bereits eine zweieinhalbjährige Haftstrafe in einem Straflager ab, weil er laut einem Richterspruch gegen Bewährungsauflagen verstoßen hat. Nawalny war am Dienstag mit seinen Anwälten im Gericht. Er wirkte abgemagert. Die Ausführungen des Gerichts nahm er ohne erkennbare Regung auf, während er in Dokumenten blätterte. Trotz seiner Haft hat Nawalny mehrfach zu Protesten gegen den russischen Einmarsch in der Ukraine aufgerufen. Seine beiden Anwälte wurden am Dienstag kurz nach Verkündung des Strafmaßes festgenommen. Olga Michailowa und Wadim Kobsew hatten erklärt, dass Nawalny in Berufung gehen werde. Kobsew teilte über Twitter später mit, beide seien wieder auf freiem Fuß.

Nach dem Urteil schrieb Nawalny auf Twitter: “Ich möchte sagen, nicht Sympathie und nette Worte sind die beste Unterstützung für mich und andere politische Gefangene, sondern Taten. Alles was gegen das hinterlistige und diebische Regime von Putin getan werden kann, jegliche Opposition gegen diese Kriegsverbrecher.” Er kündigte zudem an, dass seine Anti-Korruptions-Organisation künftig global agieren werde. Dazu werde er das Preisgeld aus dem Sacharow-Preis des Europäischen Parlaments einsetzen, der Nawalny im vergangenen Jahr verliehen worden war und mit 50.000 Euro ausgezeichnet ist. Er werde weiter gegen Zensur und dafür arbeiten, die Wahrheit zu den Menschen zu bringen.

“IN RICHTUNG EINER TOTALITÄREN DIKTATUR”

Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Deutschen Bundestag, die FDP-Abgeordnete Renata Alt, nannte das Urteil “einen weiteren Schritt, den das russische Regime in Richtung einer totalitären Diktatur macht”. Im heutigen Russland gebe es “keinen Raum für oppositionelle Politiker oder unabhängige Medien”. Das Regime von Präsident Wladimir Putin wolle, dass Nawalny bis ans Ende seiner Tage im Gefängnis bleibe. Anklage und Gerichtsverfahren seien “reine Schikane”. “Wir dürfen nicht lockerlassen und müssen den Sanktionsdruck auf das russische Regime erhöhen”, erklärte Alt. “Das schulden wir der Ukraine und allen freiheitsliebenden Menschen in Russland”.

Nawalny war im Januar 2021 bei der Rückkehr aus Deutschland in seine Heimat festgenommen und wegen Verstoßes gegen Bewährungsauflagen verurteilt worden. Er war im August 2020 auf einem innerrussischen Flug zusammengebrochen. Zunächst wurde er in Russland behandelt, dann in die Berliner Charite verlegt. Dort wurde eine Vergiftung mit einem Nervengift festgestellt. Die Regierung in Moskau hat Vorwürfe zurückgewiesen, russische Behörden hätten versucht, den Gegner von Präsident Putin zu töten.

Die Behörden in Russland bezeichnen Nawalny und dessen Mitstreiter als Staatsfeinde, die mit Unterstützung des Westens Russland destabilisieren wollten. Nawalnys Bewegung wurde von Russland als extremistisch eingestuft und verboten. Auch die Menschenrechtsgruppe Memorial und das gleichnamige Menschenrechtszentrum wurden verboten. Das Oberste Gericht Russlands lehnte der Nachrichtenagentur Tass zufolge die Berufung gegen das Verbot am Dienstag ab.

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