– von Klaus Lauer und Rene Wagner und Frank Siebelt
Berlin (Reuters) – Die Stimmung in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft bricht nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine stärker ein als befürchtet.
Das Barometer für das Geschäftsklima fiel im März kräftig um 7,7 auf 90,8 Punkte und damit auf den tiefsten Stand seit Januar 2021, wie das Münchner Ifo-Institut am Freitag zu seiner monatlichen Umfrage unter rund 9000 Managern mitteilte. Von Reuters befragte Ökonomen hatten nur einen etwa halb so großen Rückgang erwartet. “Die Unternehmen in Deutschland rechnen mit harten Zeiten”, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest. Die Führungskräfte beurteilten ihre Geschäftslage und vor allem die Aussichten für die kommenden sechs Monate schlechter als zuletzt. Beim Index der Erwartungen gab es einen “historischen Einbruch”, der noch stärker ausfiel als beim Ausbruch der Coronakrise im März 2020.
Zuvor war der wichtigste Frühindikator für die Konjunktur in Deutschland zwei Monate in Folge gestiegen. Aber die Auswirkungen des Krieges bei bereits steigenden Energiekosten und die Folgen der Wirtschaftssanktionen des Westens gegen Russland belasten die Firmen. Im Verarbeitenden Gewerbe sank der Teilindex so stark wie nie, ebenso die Erwartungen der Industrie, sagte Fuest. “Diese schlugen von Optimismus in einen deutlichen Pessimismus um.” Die Betriebe bewerteten den Ausblick als “extrem unsicher”. Ifo-Konjunkturexperte Klaus Wohlrabe sagte Reuters, die Lieferkettenprobleme hätten sich noch einmal verschärft. “Zwei Drittel der Industriebetriebe wollen ihre Preise anheben, so viele wie noch nie.” In der Folge wollen auch Einzelhändler nachziehen. “Das ist ein Domino-Effekt.”
“Durch den Ukraine-Krieg ist der Index regelrecht abgeschmiert”, sagte Chefökonom Alexander Krüger von der Privatbank Hauck Aufhäuser Lampe. “Der mit der Corona-Pandemie ausgebrochene Überlebenskampf vieler Unternehmen geht damit weiter.” Problematisch seien die globale Lieferlogistik und hohe Beschaffungskosten. “Bei einem Energie-Handelsembargo gegen Russland steht der Gang in eine Rezession bevor.”
Auch bei Dienstleistern und Handel trübte sich die Stimmung spürbar ein. Besonders düster bewertet die Logistikbranche ihre Aussichten. “Sie leidet gleich unter drei großen Problemen”, sagte Wohlrabe. “Ihr machen fehlende Fahrer, hohe Dieselpreise und die Lieferkettenprobleme in der Industrie zu schaffen.” Auch wenn die Mehrheit der Baufirmen mit den laufenden Geschäften zufrieden ist, blickt die Branche deutlich skeptischer nach vorn. “Lieferengpässe und Preissprünge machen eine seriöse Kalkulation zunehmend unmöglich, Bauverzögerungen und Baustopps sind kaum noch vermeidbar”, sagte vor kurzem Hauptgeschäftsführer Felix Pakleppa vom Branchenverband ZDB.
FIRMEN VERUNSICHERT – TRÄGT DEUTSCHES GESCHÄFTSMODELL NOCH?
Die Ifo-Forscher hatten erst kürzlich ihr Prognose für das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr von 3,7 auf 2,2 bis 3,1 Prozent gesenkt. “Die russische Attacke dämpft die Konjunktur über deutlich gestiegene Rohstoffpreise, die Sanktionen, zunehmende Lieferengpässe bei Rohmaterialien und Vorprodukten sowie erhöhte wirtschaftliche Unsicherheit”, hieß es zur Begründung. “Für das erste Quartal sehen wir keine Rezession in Deutschland”, bekräftigte Wohlrabe die Position der Münchner Forscher und Regierungsberater. Jens-Oliver Niklasch von der LBBW erwartet aber ein schwieriges zweites Vierteljahr: “Weiter kann man im Nebel der Kriegsfolgen derzeit kaum vorausschauen.”
Für DekaBank-Experte Andreas Scheuerle geht die Verunsicherung der Firmen und vor allem der Industrie weit über den Ukraine-Krieg hinaus. “Es stellt sich die Frage, wie weit das deutsche Geschäftsmodell in der Zukunft noch trägt.” Denn Lieferketten hätten sich durch Corona und “die russische Aggression wiederholt als zerbrechlich erwiesen”.
Unbestritten ist, dass die Inflation 2022 anzieht. Die Ifo-Experten rechnen wegen des Kriegs und teurer Energie mit einer Rate von 5,1 bis 6,1 Prozent. Es wäre die höchste seit 1982.
Der Ukraine-Krieg bremst zwar das Wirtschaftswachstum, wird den Aufschwung auf dem Jobmarkt nach Einschätzung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) aber nicht stoppen. Für 2022 seien rund 2,26 Millionen Arbeitslose zu erwarten und damit etwa 350.000 weniger als im vorigen Jahr. Die Zahl der Erwerbstätigen könnte demnach um 510.000 steigen und im zweiten Quartal 2022 das Vorkrisenniveau erreichen.