EZB-Vize – Kurzfristig droht noch höhere Inflation und Konjunkturflaute

Frankfurt/Berlin (Reuters) – Angesichts der Erschütterungen durch den Ukraine-Krieg erwartet die EZB auf kurze Sicht weiter rasant steigende Preise und eine Konjunkturflaute.

EZB-Vizechef Luis de Guindos sagte am Donnerstag auf einer Veranstaltung an der Universität Amsterdam, er rechne erst nach einer Reihe von Monaten mit dem Höhepunkt der Inflationswelle. In der zweiten Jahreshälfte werde sie dann aber voraussichtlich abflachen. Die am Freitag anstehenden Verbraucherpreisdaten für März würden höher als im Februar ausfallen. “Im März werden wir die Auswirkungen des Krieges spüren”, warnte er mit Blick auf die im Sog des Ukraine-Kriegs stark gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise hinzu.

Mit Blick auf die Konjunktur rechnet der Spanier zwar nicht damit, dass die Euro-Zone kurzfristig in eine Rezession rutscht. Für das erste Quartal sei nach seinem Eindruck allerdings nur ein geringes Wachstum zu erwarten und für das zweite Quartal ein Wert nahe null. Auf die Frage, ob eine Stagflation drohe – also eine vor sich hin dümpelnde Wirtschaft bei gleichzeitig hoher Inflation, antwortete der Spanier: “Ich glaube nicht, dass wir 2022 ein negatives Wachstum haben werden.” Auch EZB-Chefin Christine Lagarde sagte jüngst, weder eine nachhaltige Rezession noch eine immer höhere Inflation zeichneten sich ab.

Die EZB will im dritten Quartal ihre milliardenschweren Anleihenkäufe im Rahmen des Programms APP beenden, wenn es die Inflationsaussichten erlauben. Das Ausschalten des Programms gilt als Vorstufe einer Zinserhöhung, die laut EZB “einige Zeit” nach Ende der Anleihen-Zukäufe vollzogen werden soll. Einige Währungshüter dringen darauf, dass die Wende zügig eingeleitet wird.

“TEKTONISCHER SCHOCK”

Für die Inflationsdaten im Euroraum erwarten Experten einen neuen Rekordwert von 6,6 Prozent im März, nach 5,9 Prozent im Februar. Die Wirtschaftsweisen rechnen für 2022 in Deutschland mit einer Inflationsrate von 6,1 Prozent, halten aber in den nächsten Monaten hierzulande auch zweistellige Werte für möglich, sollte es einen Lieferstopp russischer Energie geben.

Trotz des massiven Preisauftriebs im Euroraum rechnet die Europäische Zentralbank (EZB) weiter mittelfristig mit dem Erreichen ihres Inflationsziels. Gestützt von einer angemessen austarierten Geldpolitik werde sich die Inflation auf mittlere Sicht wohl um den Zielwert von 2,0 Prozent stabilisieren, sagte EZB-Chefökonom Philip Lane. Zugleich erscheine es plausibel, dass die Zeiten relativ niedriger Inflation nicht zurückkehrten, wie sie vor Ausbruch der Corona-Pandemie herrschten.

Die russische Invasion habe in der globalen geopolitischen und wirtschaftlichen Ordnung einen “tektonischen Schock” ausgelöst, sagte der Ire und fügte an: “Wir werden alles tun, was nötig ist, um das Mandat der EZB zu erfüllen, für stabile Preise zu sorgen und Finanzstabilität zu sichern.”

(Bericht von Balazs Koranyi und Reinhard Becker, redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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