– von Guy Faulconbridge
London (Reuters) – Die Gespräche zwischen Russland und der Ukraine über einen Waffenstillstand stecken nach Darstellung des russischen Präsidenten Wladimir Putin in einer Sackgasse.
Die Regierung in Kiew sei von den Vereinbarungen, die bei den Friedensgesprächen in Istanbul getroffen worden waren, abgewichen, sagte Putin am Dienstag der Nachrichtenagentur Interfax zufolge. Vor Mitarbeitern der Raumfahrtbehörde im Kosmodrom Wostotschni zeigte er sich absolut siegessicher. Ein Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sagte der Nachrichtenagentur Reuters, die Verhandlungen seien zwar hart, würden jedoch fortgesetzt. Russland wolle mit den Äußerungen Druck ausüben, erklärte Mychailo Podoljak.
Putin besichtigte den 5500 Kilometer von Moskau entfernt liegenden Kosmodrom zusammen mit dem belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko. Der Auftritt zum 61. Jahrestag des Flugs von Juri Gagarin als erster Mensch im Weltraum war sein erster bekannter öffentlicher Auftritt seit dem Rückzug der russischen Truppen aus dem Raum Kiew vor mehr als einer Woche. Die Ziele, die mit dem Einmarsch verfolgt würden, seien absolut klar und edel, sagte Putin. Als Beleg dafür, dass Russland selbst unter schwierigen Bedingungen spektakuläre Sprünge nach vorne machen könne, verwies er auf das sowjetische Raumfahrtprogramm: “Die Sanktionen waren total, die Isolation war vollständig. Aber die Sowjetunion war immer noch als erste im Weltraum.”
RUSSISCHE REGIERUNG ERWARTET KONJUNKTURABSTURZ
Die russische Regierung erwartet allerdings den stärksten Konjunkturabsturz seit 1994. “Die offizielle Prognose dürfte eine Schrumpfung um mehr als zehn Prozent vorsehen”, sagte Rechnungshofchef Alexej Kudrin der Nachrichtenagentur RIA zufolge. Das werde aus den neuen Prognosen des Wirtschafts- und Finanzministeriums hervorgehen. Ein Regierungsinsider sagte Reuters, dass mit einem Rückgang des Bruttoinlandsproduktes zwischen zehn und 15 Prozent zu rechnen sei. Ein zweistelliges Minus hatte es nach Daten von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) zuletzt 1994 im Gefolge des Zusammenbruchs der Sowjetunion gegeben.
Putin wies zudem die Berichte über russische Gräueltaten und Kriegsverbrechen in der ukrainischen Stadt Butscha als Fälschungen zurück. Der syrischen Regierung von Präsident Baschar al-Assad sei vorgeworfen worden, Chemiewaffen eingesetzt zu haben, sagte er. “Dann hat sich herausgestellt, dass es gefälscht war. Das ist die gleiche Art von Fälschung in Butscha.” Der Westen hat die Regierung in Damaskus für den Einsatz von Chlorgas im Bürgerkrieg verantwortlich gemacht. Sie und ihr Verbündeter Russland weisen dies zurück.
US-KREISE: BISLANG KEIN BELEG FÜR C-WAFFEN IN MARIUPOL
Die USA haben Russland im Ukraine-Krieg vor dem Einsatz von Chemiewaffen gewarnt. Aus US-Kreisen verlautete am Dienstag, jüngste Berichte über einen derartigen Vorgang in der belagerten ukrainischen Hafenstadt Mariupol könnten gegenwärtig nicht bestätigt werden. Auch die ukrainische Verteidigungsministerin Hanna Maljar sagte, die Angaben würden noch geprüft. Medienberichten zufolge verneint das russische Militär die Vorwürfe. Die Lage der Verteidiger in Mariupol gilt als zunehmend schwierig. Nach Medienberichten droht ihnen die Munition auszugehen. Bürgermeister Wadym Boitschenko sprach im Fernsehen von etwa 21.000 getöteten Zivilisten in der Stadt.
Der britische Militärgeheimdienst erwartet in den kommenden zwei bis drei Wochen intensive Kämpfe im Osten der Ukraine. Russland konzentriere seine Angriffe auf Stellungen bei Donezk und Luhansk, teilte das Verteidigungsministerium in London mit. Die russischen Truppen setzten dabei ihren Abzug aus Belarus fort, um im Osten eingesetzt zu werden. Der ukrainische Generalstab sprach davon, dass russische Streitkräfte Popasna westlich von Luhansk erobern wollten. Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu hatte als Hauptziel der Invasion die Eroberung des rohstoffreichen Donbass genannt.
Die russische Führung bezeichnet die am 24. Februar begonnene Invasion als militärischen Sondereinsatz, der der Demilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine sowie dem Schutz Russlands diene. Die Ukraine und der Westen dagegen sprechen von einem Angriffskrieg. Mehr als vier Millionen Menschen sind inzwischen ins Ausland geflohen.